König Ludwig II. von Bayern und die deutſche Kunſt. 729
Zerrbild der deutſchen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahr—
hunderts entgegen.
Dasſelbe wie von den Bildern gilt leider auch von den maſſen—
haften Statuen und Büſten. Der Mann, welcher in den letzten
Jahren König Ludwigs die Oberleitung über die geſamte Plaſtik
hatte, war der Profeſſor Phil. Perron, ein Bildhauer, den man
zwar vergeblich im Künſtlerlexikon ſucht und der auch ſonſt in
München außer einigen geſchickten Drechslerarbeiten nie etwas aus—
ſtellte, dem aber jedenfalls der Ruhm des Fa presto nicht abzu—
ſprechen iſt. Er hat es verſtanden, unter Beihilfe von 120 Ar—
beitern in wenigen Jahren Hunderte von Statuen, Reliefen und
Büſten für Herrenchiemſee fertig zu ſtellen, welche bald Ludwig XV.
zu Pferde und zu Fuß nach Desjardin, Bernini u. a., baͤld die
franzöſiſchen Heerführer Condé, Turenne, Villars, Vauban, bald
die Mätreſſen, wie die Pompadour und Dubarry, bald bekannte
antike Werke vorführen. Zu dieſen Maſſenerzeugniſſen Perrons
kommen dann noch die in der kleinen Galerie aufgeſtellten Statuen
der vier Weltteile von Friedrich Fürſt und die in der Spiegel—
galerie befindlichen, von Friedrich Spieß in Rom gelieferten ſech—
zehn Büſten römiſcher Imperatoren, Caligula, Nero, Domitian, Ca—
racalla u. a., die zwar als Kopien der bekannten kapitoliniſchen
Büſten künſtleriſch wertlos ſind, aber doch wieder ein trauriges
Streiflicht auf den umnachteten Geiſt des Königs werfen. Das
ritterlich-romantiſche deutſche Mittelalter in Neuͤſchwanſtein, das
üppig-weichliche franzöſiſche Rokoko in Linderhof und das brutale
Cäſarentum in Herrenchiemſee — armer König, was für Wand—
lungen haben ſich in deinem kranken Hirne vollzogen!
Und derſelbe Zug wie in dieſen Büſten tritt uns auch in
der übrigen inneren Ausſtattung des Schloſſes entgegen, die nur
Gold, Gold und wieder Gold zeigt. Davon, daß ein Material
ſich dem andern unterordnen muß, daß das Koſtbare erſt durch
das Minderwertige zur Geltung kommt, oder gar von einer Wechſel—
wirkung der Farben iſt keine Rede mehr. Jeder der Säle hat
einen Grundton, bald blau, bald grün, bald lila, bald purpurrot,
der durch Gardinen, Portieren und Möbelüberzüge hindurchgeht.
Aber nicht nur alle Beine der Stühle, Seſſel, Tiſche und Bänke
ſind vergoldet, Gardinenhalter und Franſen von ſchwerſten Gold—
ſchnüren — auch allen Möbelüberzügen, Gardinen und Portieren
ſind zollhohe goldene Lilien — die Lilien Frankreichs — ein—
geſtickt. Und in dieſen Räumen, in denen nichts Behaglichkeit,
Wohnlichkeit atmet, in dieſem Schloſſe, das in fertigem Zuſtande
viele Hunderte von Zimmern, aber nirgends ein kleineres, trauliches
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte zc, 1886. Heft X. 47
Zerrbild der deutſchen Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahr—
hunderts entgegen.
Dasſelbe wie von den Bildern gilt leider auch von den maſſen—
haften Statuen und Büſten. Der Mann, welcher in den letzten
Jahren König Ludwigs die Oberleitung über die geſamte Plaſtik
hatte, war der Profeſſor Phil. Perron, ein Bildhauer, den man
zwar vergeblich im Künſtlerlexikon ſucht und der auch ſonſt in
München außer einigen geſchickten Drechslerarbeiten nie etwas aus—
ſtellte, dem aber jedenfalls der Ruhm des Fa presto nicht abzu—
ſprechen iſt. Er hat es verſtanden, unter Beihilfe von 120 Ar—
beitern in wenigen Jahren Hunderte von Statuen, Reliefen und
Büſten für Herrenchiemſee fertig zu ſtellen, welche bald Ludwig XV.
zu Pferde und zu Fuß nach Desjardin, Bernini u. a., baͤld die
franzöſiſchen Heerführer Condé, Turenne, Villars, Vauban, bald
die Mätreſſen, wie die Pompadour und Dubarry, bald bekannte
antike Werke vorführen. Zu dieſen Maſſenerzeugniſſen Perrons
kommen dann noch die in der kleinen Galerie aufgeſtellten Statuen
der vier Weltteile von Friedrich Fürſt und die in der Spiegel—
galerie befindlichen, von Friedrich Spieß in Rom gelieferten ſech—
zehn Büſten römiſcher Imperatoren, Caligula, Nero, Domitian, Ca—
racalla u. a., die zwar als Kopien der bekannten kapitoliniſchen
Büſten künſtleriſch wertlos ſind, aber doch wieder ein trauriges
Streiflicht auf den umnachteten Geiſt des Königs werfen. Das
ritterlich-romantiſche deutſche Mittelalter in Neuͤſchwanſtein, das
üppig-weichliche franzöſiſche Rokoko in Linderhof und das brutale
Cäſarentum in Herrenchiemſee — armer König, was für Wand—
lungen haben ſich in deinem kranken Hirne vollzogen!
Und derſelbe Zug wie in dieſen Büſten tritt uns auch in
der übrigen inneren Ausſtattung des Schloſſes entgegen, die nur
Gold, Gold und wieder Gold zeigt. Davon, daß ein Material
ſich dem andern unterordnen muß, daß das Koſtbare erſt durch
das Minderwertige zur Geltung kommt, oder gar von einer Wechſel—
wirkung der Farben iſt keine Rede mehr. Jeder der Säle hat
einen Grundton, bald blau, bald grün, bald lila, bald purpurrot,
der durch Gardinen, Portieren und Möbelüberzüge hindurchgeht.
Aber nicht nur alle Beine der Stühle, Seſſel, Tiſche und Bänke
ſind vergoldet, Gardinenhalter und Franſen von ſchwerſten Gold—
ſchnüren — auch allen Möbelüberzügen, Gardinen und Portieren
ſind zollhohe goldene Lilien — die Lilien Frankreichs — ein—
geſtickt. Und in dieſen Räumen, in denen nichts Behaglichkeit,
Wohnlichkeit atmet, in dieſem Schloſſe, das in fertigem Zuſtande
viele Hunderte von Zimmern, aber nirgends ein kleineres, trauliches
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte zc, 1886. Heft X. 47