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Die Gartenkunst — 5.1903

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Unterrichtswesen
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200

DIE GARTENKUNST

V, 11

die Grundlagen des Obst- und Gartenbaues. Auch für die-
jenigen, welche die weiteren Lehrgänge nicht durchmachen,
sondern direkt in die Praxis zurückkehren wollen, wird hier
eine gute theoretische Grundlage für die spätere praktische
Tätigkeit gegeben sein. Allerdings nicht in dem Sinne, dafs
das Mafs von Kenntnissen in den Naturwissenschaften, welches
man in einem Jahre erwerben kann, nun genüge, um alle Mafs-
gaben der Praxis wissenschaftlich erklären und damit sicher
fundieren zu können, dazu reicht selbst ein längeres Studium
nicht aus, wohl aber wird diese theoretische Grundlage genügen,
das Verständnis der Praxis zu klären, die einzelnen Mafsnahmen
kritisch zu beurteilen, die Beobachtungsgabe zu schärfen und
dadurch wirkliche Erfahrung zu sammeln, welche die Grund-
lage jeder rationellen Praxis sein mufs. Die erfolgreiche Ab-
solvierung dieses allgemeinen Lehrganges ist die Vorbedingung
für die Zulassung zu den weiteren drei Lehrgängen für Garten-
kunst, Obstbau und gärtnerischen Pflanzenbau. Im Lehrgang
für Gartenkunst konzentriert sich der Unterricht auf die Ge-
schichte und die Grundlehren dieser Kunst, ihr Verhältnis zur
Architektur und vor allem auf Zeichnen und Entwerfen von
Plänen. Der Lehrgang für Obstbau umfafst alle Spezialitäten
der Obstzucht und Treiberei und der Obstverwertung. Der
Lehrgang für den gärtnerischen Pflanzenbau soll neben den
Einzelheiten der verschiedenen Pflanzen- und Blumenkulturen
im freien Lande und den Gewächshäusern auch der Samen-
kunde und dem Samenbau und der Kenntnis der Kolonial-
pflanzen dienen. Da vielfach an die Gärtner die verschieden-
artigsten Anforderungen gestellt werden, so wird sich nicht
jeder Besucher der Anstalt für eine nur einseitige Ausbildung
in einem der genannten drei Lehrgänge entscheiden, es ist
daher die Möglichkeit gegeben, ein kombiniertes Studium zu
betreiben. Ebenso ist es gestattet, länger als ein Jahr an den
besonderen Lehrgängen teilzunehmen und die Studien noch
durch das Hören von Vorlesungen an den wissenschaftlichen
Hochschulen Berlins zu vertiefen. Die praktische Beschäftigung
in der Anstalt soll in Zukunft eine freiwillige und darum frucht-
bringendere sein, dagegen soll jeder Besucher der Anstalt schon
vorher in einer vierjährigen Beschäftigung gröfsere praktische
Fähigkeiten erworben haben. Bei dem durch diese Anforderung
bedingten reiferen Alter glauben wir auch auf ein Internat für
die Angehörigen der Anstalt verzichten zu. können. An Schul-
kenntnissen wird von jedem Besucher der Anstalt dasjenige
Mal's verlangt, welches für die Erwerbung der Berechtigung
zum einjährigen Dienst festgesetzt ist.
Dies ist in allgemeinen Zügen der Lehrplan, welchen wir
hier befolgen wollen. Er kann kein unabänderlicher sein, und
nichts wäre verkehrter, als uns auf ein bestimmtes Schema von
vornherein absolut festzulegen. Wir wollen gern von den Er-
fahrungen lernen und behalten uns vor, dementsprechend auch
Modifikationen eintreten zu lassen. Gegen eins möchte ich
allerdings schon hier Verwahrung einlegen. So sehr wir auch
geneigt sind, den Unterricht möglichst zu spezialisieren und
zu vertiefen, so wollen wir uns doch nicht auf den Weg drängen
lassen, der zur sogen, gärtnerischen Hochschule führt, wie sie
in den letzten Jahren mehrfach verlangt worden ist. Alles,
was von wirklich für die Gartenkunst und ihre Jünger’ wert-
vollem Unterricht notwendig ist, glauben wir innerhalb unseres
Lehrplans und unserer Einrichtungen bieten zu können; was
wir nicht zugeben können und auch nicht zugeben wollen, das
sind Forderungen, die mit der Gartenkunst und dem Gartenbau
nur in entfernterer Verbindung stehen. Hierhin ist vor allem
die völlige Gleichstellung mit anderen akademischen Studien,
auch in Beziehung auf die Vorbildung, also die Forderung des
vorher bestandenen Abiturientenexamens einer neunklassigen

Schule zu rechnen. Gewifs ist jede vertiefte Schulbildung von
nutzen, aber für einen praktischen Beruf wie den der Gärtnerei
sind die drei Jahre jugendfrischer Praxis doch noch wichtiger.
Was man nicht von den Studierenden der Landwirtschaft an
den Universitäten verlangt, sollte man auch von den Gärtnern
nicht fordern. Gerade diejenigen, welche die Landschafts-
gärtnerei nicht zu den Gewerben, sondern zu den Künsten
gerechnet wissen wollen, sollten die Befähigung zur Ausbildung
in dieser schönen und freien Kunst nicht von höheren Schul-
zeugnissen abhängig sein lassen. Jls ist ein ganz besonderer
Vorzug der Laufbahn als Gärtner, dafs sie Raum für jede indi-
viduelle Entwickelung bietet, sei es, dafs sie nach der rein
gärtnerischen Seite als Pflanzenkultivateur, oder nach der mer-
kantilen Seite als Handelsgärtner oder Pflanzen- und Blumen-
händler, oder nach der wissenschaftlichen Seite als botanischer
Gärtner und Pflanzensammler, oder nach der künstlerischen
Seite als Gartenkünstler, oder schliefslich nach der Beamten-
seite als staatlicher oder Kommunal-Garteninspektor oder Direk-
tor gravitiert. Hier kann jeder eine seinen Fähigkeiten und
Neigungen entsprechende Stellung erringen. Warum soll man
hier künstliche Erschwerungen einführen und Vorbildungen
verlangen, die über das sachlich Notwendige hinausgehen und
die beste Zeit und Gelegenheit für die praktische Ausbildung
allzusehr beschränken. Diese ist aber für die grofse Mehrzahl
aller im Gartenbau tätigen unentbehrlich. Man kann sich zwar
theoretisch einen Gartenkünstler und vielleicht sogar einen
städtischen Garteninspektor konstruieren, von denen der eine
als Künstler, der andere als reiner Verwaltungsbeamter der
gärtnerischen Praxis ziemlich fernsteht, allein für solche Aus-
nahmen kann man doch keine Lehranstalten einrichten. Die
Pläne unserer Gärtnerlehranstalten werden immer auf die Mehr-
zahl derjenigen Gartenbaubeflissenen berechnet sein müssen,,
welche schon ihres späteren Fortkommens wegen mit der
Gartenkunst auch den Gartenbau in seinen verschiedenen
Zweigen erlernen wollen und denen daher Gelegenheit geboten
werden mufs, schon im jugendlichen Alter sich in der Praxis
zu erproben und die nötigen manuellen Fertigkeiten zu er-
werben und zu zeigen, dafs sie für den schweren Beruf körper-
lich und geistig befähigt und auch genügend begeistert sind,
um alle Anfangsschwierigkeiten zu überwinden.
Das Verlangen nach Gleichstellung der gärtnerischen Lehr-
anstalten mit sonstigen Hochschulen, speziell auch in bezug auf
die Vorbildung, dürfte auch viel weniger aus den Kreisen der
selbständigen Kunst- und Handelsgärtner, als aus den Kreisen
der beamteten Gärtner entsprungen sein und seinen Grund nicht
in der dadurch garantierten besseren Fachbildung, als wie in
sogen. Dignitäts- und Gehaltsfragen finden. Wir leben ja nun
einmal in einem Beamtenstaate, und in einem solchen spielen
Rang- und Gehaltsfragen eine grofse Rolle. Hätten wir Garten-
referendare, Gartenassessoren und die verschiedensten Nuancen
von Gartenräten, so wären ja alle diese Fragen schon geregelt
und jedem sein Platz an der Tafel bestimmt, während jetzt der
Gartenbeamte sich u. a. zurückgesetzt fühlen kann gegenüber
den studierten und klassifizierten Herren. Aber solche Rück-
sichten können doch keine entscheidenden sein, um die schöne
und freie Laufbahn eines Gärtners und Gartenkünstlers in die
spanischen Stiefel einzuschnüren, in welche wir, vielleicht zum
grofsen Schaden unserer Entwickelung, so viele staatliche Lauf-
bahnen eingezwängt haben. Möge es immer der Stolz der
Gärtner bleiben, dafs schliefslich doch nur die persönliche
Leistung und nicht das Bestehen einer gewissen Anzahl von
Schul- und Fachexamen die gesellschaftliche und Fachstellung
des einzelnen bedingt. Zu solchen höchsten Leistungen vor-
zubereiten soll die Aufgabe unserer Anstalt sein, und rechnen
 
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