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Die Gartenkunst — 10.1908

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Pudor, Heinrich: Die Blumenkunst Japans, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49258#0071

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DIE GARTENKUNST.

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scher Art handelt es sich, die ihre besondere „Rhythmik“
haben. Mit der Malerei wiederum hat sie die Be-
deutung der Farbe und der Farbenharmonie gemein.
Vor allem darf man bei dieser Blumenkunst nicht
an Blumenbindekunst denken. Eine solche gibt es bei
uns. In Japan werden die Blumen überhaupt nicht
gebunden, sondern gruppiert, geordnet, aufgestellt.
Ich komme gleich darauf zurück.
Der deutsche Naturforscher und Philosoph Haeckel
hat in seiner generellen Morphologie verschiedene Schön-
heitsempfindungen der Naturformen unterschieden; von
diesen haben wir es hier vorzugsweise mit der soge-
nannten aktionalen Schönheit, dem Objekt der radialen
Ästhetik zu tun. Auch die einfache Schönheit, die
rhythmische und die symmetrische Schönheit kommen
in Betracht. Doch zeigt die japanische Blumenkompo-
sition alles andere als strenge Symmetrie.
Das japanische Wort für Blume „hana“ bezeichnet
nicht wie bei uns nur eine blütentragende Pflanze,
sondern auch der Baum, wie z. B. die Kiefer und die
Zeder gelten als Blumen. Die Blüte gilt nur als ein,
ästhetisch nicht einmal bedeutungsvoller Teil der Blume.
Am wichtigsten für die japanische Blumenkunst
ist die Linienführung der Stengel, Äste und Baum-
stämme. Für die Japaner gibt es eine Sprache der
Linie. Die Linie ist für sie beseelt, sie gilt als
laufender Punkt, deshalb gibt es für die Japaner ebenso
eine Poesie der Bewegung, wie eine Poesie der Linie,
und deshalb ist der Stengel und Stamm so sehr wich-
tig bei dem japanischen Blumenarrangement, während
bei dem unserigen die Stengel meist gar nicht zu sehen
sind und die Blüten horribile dictu auf Draht ge-
steckt sind.
Wie schon erwähnt, ist die Blumenkunst der
Japaner sehr alt. Früher unterschied man folgende
zwei verschiedenen Stile : I. Shin-no-hana-Komposition
um eine steife, vertikal aufsteigende Zentrale. Dieser
Stil, der Grazie der Linienführung absichtlich vermeidet,
hat einen steif-zermoniellen Charakter und ist deshalb
für religiöse Zwecke noch heute in Gebrauch. 2. Rikkva.
Flier ist die Hauptachse gebogen. Für diese werden
in beiden Stilen Baumäste gebraucht. Die Länge der
Zentralachse muß im Verhältnis stehen zu dem Durch-
messer des Gefäßes (Vase, Korb usw.) und des Tisches
oder Ständers, auf welchem jenes steht.
Die Erfindung der mehr modernen Blumenkunst
wird dem berühmten Philosophen Sen no Rikiu zu-
geschrieben. Sein Stil ist der sogenannte Koriu-Stil,
von dem die späteren Stile Enshiu Riu, Sekishiu Riu,
Jikei Riu, Misho Riu, Kodo Riu und Seizan Riu*) ab-
zuleiten sind. Die geheimen Tricks, die jede einzelne
dieser Schulen hatte, nannte man Hiden. Der popu-
lärste der genannten Stile ist der Enshiu-Stil, erfunden
von Klere-Kolori Totomi no kami. Er war

*) Vergl. darüber The theory of japanese flower
arrangements by Josiah Conder, welchem ausgezeichneten
Buch die vorstehenden Ausführungen zum Teil entnommen sind.

Professor des Thee-Zeremoniells (chajin) und führte
als solcher den Titel Soho. Dieser Enshiu-Stil hat
drei Hauptprinzipien (San-gi):
1. Kioku, d. i. die Kunst, den Kompositionen Ge-
fühsausdruck zu verleihen.
2. Shitsu, d. i. die Kunst, das der Pflanze eigen-
tümliche Wachstum zum Ausdruck zu bringen.
3. Ji, d. i. die Kunst, die Jahreszeit der Blumen und
die Charakteristika der Jahreszeiten bei jeder
einzelnen Pflanze zur Geltung zu bringen.
Der Ausgangspunkt jeder Blumen-Komposition
(gleichsam ihre „Tonart“, in der sie geschrieben ist)
bildet die Linienführung und Richtung der Stengel
oder Äste, welche die Hauptachse bilden. Die Wasser-
oberfläche des Gefäßes gilt dabei als die Erdober-
fläche, auf der die Blumen in der Natur wachsen. Die
Hauptachse braucht nicht vertikal, sondern kann ge-
bogen sein. Strenge Symmetrie wird, wie bemerkt,
vermieden, vielmehr eine Harmonie der Verschieden-
heit im einzelnen erstrebt.
Der Aufbau der Komposition beginnt mit dem
Arrangement der Achsen, deren es meist drei oder fünf
oder sieben gibt. Besonders beliebt ist das Dreiachsen-
System. Die Hauptachse heißt Shin, die zweite, welche
halb so lang ist, Gio. Die dritte heißt So und hat drei
Biegungen. Die anderen beiden sind doppelt gebogen
und gehen von einem gemeinsamen Stamm aus. Die
Hauptachse nimmt nach einer doppelten (erst nach
links, dann nach rechts zurück) Biegung die vertikale
Richtung. Die eine Nebenachse nimmt nach einer
Linksbiegung ebenfalls vertikale Richtung, während
die andere horizontal nach rechts ausbiegt.
Die Form der Komposition mit drei, fünf und
sieben Achsen hängt hauptsächlich von der Stärke
der Biegung der Flauptlinie ab. Im einfachen Stil
ist diese Biegung leise, in der Enshiu-Schule aber
stark nach der Seite und zwar einige Zoll oberhalb
der als Wurzelausgangsstelle gedachten „Quelle“; der
oberste Teil verläuft genau vertikal zur Basis. Die
Beweglichkeit der ganzen Komposition ist beabsichtigt
und bewußt und soll die Wildheit der Natur nach-
ahmen. Jede nun an einer Seite neu hinzutretende
Linie verlangt eine entsprechende andere an der anderen
Seite. Da wir es aber bei der Blumenkomposition
nicht mit einer Fläche, sondern mit einem Körper im
Raum zu tun haben, so gibt es nicht nur ein Vertikal
und Horizontal, sondern auch ein Vorwärts und Rück-
wärts. Darnach biegt sich die Shin-Linie (Hauptachse)
nach Nordost. die Gio-Linie nach Südost, die So-Linie
nach Südwest.
Als fehlerhaft wird eine Komposition bezeichnet,
bei der verschiedene Linien sich so schneiden, daß sie
Kreuzwinkel ergeben*), oder wenn mehrere Zweige von
gleicher Länge parallel laufen, oder wenn auf zwei
Seiten der Zentralachse Stengel abwärts fallen.
*) Bei einigen Pflanzen ist das Kreuzen der Seitenzweige
und Hauptzweige als charakteristisch gestattet.
 
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