Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 43.1932
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Michel, Wilhelm: Vom Verständigen Gebrauch
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INNEN-DEKORATION
91
ARCHITEKT OTTO ZOLLINGER-SAARBRÜCKEN
WOHNZIMMER. GLAS-MOSAIK: KARL HQGIN
VOM VERSTÄNDIGEN GEBRAUCH
Um jeden Menschen— so sagt die Legende des
Baalschem in Bubers Darstellung — ist ein na-
türlicher »Bezirk von Dingen« gelegt, die vor
allem »zu befreien« er bestimmt ist. Es sind die We-
sen und Gegenstände, die der Besitz des Einzel-
nen genannt werden: seine Tiere und seine Wän-
de, sein Garten und sein Anger, sein Gerät und
seine Speise. Indem er sie in Heiligkeit hegt und
genießt, macht er ihre Seelen los. Darum soll der
Mensch »sich immerdar seiner Geräte und alles
seines Besitzes erbarmen.«
Seltsames Problem, das sich da stellt: der Mensch
soll die Dinge seines täglichenGebrauchs„erlösen".
Was muß der moderne Mensch denken, wenn ihm
gegenüber Dingen wie Stuhl und Tisch, Haus und
Garten,die er jederzeitkaufen undverkaufenkann,
eine solche Haltung zugemutet werden? Ist denn
überhaupt zwischen Mensch und Ding ein Verhält-
nis von »Gegenseitigkeit«? Ist der Mensch nicht
der absolute Herr, kann ein gemachtes, käufliches
Ding ihm irgendwelche ernsteren „Verpflichtun-
gen" auflegen? . Vielleicht doch. Die Ausdrücke
wechseln von einer Zeit zur andern, aber die Sa-
che bleibt. Auch der Mensch von heute kann spü-
ren, daß es in seinem täglichen Leben Strecken
der Öde gibt und daneben Strecken der Erfüllt-
heit. Er wird merken, daß er in den Stunden der
Erfülltheit ein gutes, lebensvolles Verhältnis
zu den Dingen gewinnt. Er wird als moderner
Mensch wohl nicht von der »Seele« seines Stuhles
sprechen. Aber er wird eine freundliche Verbun-
denheit zwischen seinem Ich und den Dingen
spüren. Er wird merken: wenn er selber positiv
und sinnvoll lebt, dann stehen auch die Dinge sinn-
voller, gleichsam freudiger m seiner Welt. Der
Mensch — fordert der Baalschem — soll sich
»seiner Geräte erbarmen«. Liegt darin nicht die
Wahrheit, daß der Mensch nicht nur seine eigenen
Kräfte, sondern auch die ihm gehörenden Dinge
mißbraucht, wenn er leer und falsch dahinlebt?
Ein Mensch, der »in Ordnung« ist, nimmt alles,
was um ihn her ist, in diese Ordnung auf und gibt
ihm so einen »Platz« und einen Sinn. Er achtet auf
seine Habe, er »ehrt« sie durch verständigen
G ebrauch, durch freundliche Annahme der Dien-
ste, die sie ihm anbietet. Und wenn »Erlösung« beim
91
ARCHITEKT OTTO ZOLLINGER-SAARBRÜCKEN
WOHNZIMMER. GLAS-MOSAIK: KARL HQGIN
VOM VERSTÄNDIGEN GEBRAUCH
Um jeden Menschen— so sagt die Legende des
Baalschem in Bubers Darstellung — ist ein na-
türlicher »Bezirk von Dingen« gelegt, die vor
allem »zu befreien« er bestimmt ist. Es sind die We-
sen und Gegenstände, die der Besitz des Einzel-
nen genannt werden: seine Tiere und seine Wän-
de, sein Garten und sein Anger, sein Gerät und
seine Speise. Indem er sie in Heiligkeit hegt und
genießt, macht er ihre Seelen los. Darum soll der
Mensch »sich immerdar seiner Geräte und alles
seines Besitzes erbarmen.«
Seltsames Problem, das sich da stellt: der Mensch
soll die Dinge seines täglichenGebrauchs„erlösen".
Was muß der moderne Mensch denken, wenn ihm
gegenüber Dingen wie Stuhl und Tisch, Haus und
Garten,die er jederzeitkaufen undverkaufenkann,
eine solche Haltung zugemutet werden? Ist denn
überhaupt zwischen Mensch und Ding ein Verhält-
nis von »Gegenseitigkeit«? Ist der Mensch nicht
der absolute Herr, kann ein gemachtes, käufliches
Ding ihm irgendwelche ernsteren „Verpflichtun-
gen" auflegen? . Vielleicht doch. Die Ausdrücke
wechseln von einer Zeit zur andern, aber die Sa-
che bleibt. Auch der Mensch von heute kann spü-
ren, daß es in seinem täglichen Leben Strecken
der Öde gibt und daneben Strecken der Erfüllt-
heit. Er wird merken, daß er in den Stunden der
Erfülltheit ein gutes, lebensvolles Verhältnis
zu den Dingen gewinnt. Er wird als moderner
Mensch wohl nicht von der »Seele« seines Stuhles
sprechen. Aber er wird eine freundliche Verbun-
denheit zwischen seinem Ich und den Dingen
spüren. Er wird merken: wenn er selber positiv
und sinnvoll lebt, dann stehen auch die Dinge sinn-
voller, gleichsam freudiger m seiner Welt. Der
Mensch — fordert der Baalschem — soll sich
»seiner Geräte erbarmen«. Liegt darin nicht die
Wahrheit, daß der Mensch nicht nur seine eigenen
Kräfte, sondern auch die ihm gehörenden Dinge
mißbraucht, wenn er leer und falsch dahinlebt?
Ein Mensch, der »in Ordnung« ist, nimmt alles,
was um ihn her ist, in diese Ordnung auf und gibt
ihm so einen »Platz« und einen Sinn. Er achtet auf
seine Habe, er »ehrt« sie durch verständigen
G ebrauch, durch freundliche Annahme der Dien-
ste, die sie ihm anbietet. Und wenn »Erlösung« beim