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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 43.1932

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Adler, Leo: Dreierlei Zweckmässigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10798#0414

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402

INNEN-DEKORATION

ARCH1TKKT hermann p. rauch-düsseldorf herrenzimmer. schreibtisch und bücherei

DREIERLEI ZWECKMÄSSIGKEIT

Man will uns heute glauben machen, daß das
»Zweckmäßige« das Ziel aller gestaltenden
Arbeit sei und das »Schöne« nichts anderes als ein
Phantom verflossener Epochen, dem nachzujagen ein
Hirngespinst ist. Eines Tages wird diese Meinung als
ein Mode-Irrtum der Zeit erkannt werden, die mit
dem Erbe des 19. Jahrhunderts und seinem Mate-
rialismus aufräumen muß, ehe sie den Weg zu Neuem
frei machen kann. Hierbei wird es nicht ohne Aufgabe
mancher Tagesmeinung abgehen können. . Es sei ge-
stattet, an eine halbvergessene Schrift zu erinnern, an
Goethes »Fragment über Baukunst«. Dort unter-
scheidet Goethe dreierlei Zwecke; diese sind der
»nächste«, der »höhere« und der »höchste«.

k

Der nächste Zweck, wenn er bloß notwendig ist,
läßt sich — meint Goethe — »durch eine rohe Natur-
pfuscherei sinnlich erreichen; wird diese Notwendig-
keit mannigfaltiger, was wir nützlich nennen, so ge-
hört schon eine Handwerksübung dazu, um ihn zu
erreichen. Dieser nächste Zweck und dessen Beurtei-
lung ist dem mehr oder weniger gebildeten Menschen-
verstand überlassen, das Notwendige mit Bequem-

lichkeit vollbringen zu können. . Soll aber das Bau-
geschäft den Namen einer Kunst verdienen, so muß
es neben dem Notwendigen und Nützlichen auch
sinnlich-harmonische Gegenstände hervor-
bringen. Dieses Sinnlich-Harmonische ist in jeder
Kunst von eigener Art und bedingt; es kann nur
innerhalb seiner Bedingung beurteilt werden. Diese
Bedingungen entspringen aus dem Material, aus dem
Zweck und aus der Natur des Sinns, für welchen das
Ganze harmonisch sein soll.«



Nach einigen auf die Baukunst allein bezüglichen
Worten fährt Goethe fort: »Hier tritt nun bald die Be-
trachtung des höchsten Zweckes ein, welcher,
wenn man so sagen darf, die ,Überbefriedigung des
Sinnes' sich vornimmt und einen gebildeten Geist bis
zum Erstaunen und Entzücken erhebt; es kann dieses
nur durch das Genie, das sich zum Herrn der übrigen
Erfordernisse gemacht hätte, hervorgebracht wer-
den.« Es ist bemerkenswert, wie hier dreierlei Zwecke
bestimmt sind, und klar wird, daß Zweck-Erfüllung
über das Notwendige hinausgehen kann, ohne die hö-
here Zweckmäßigkeit zu überschreiten. . Dr. leoadler.
 
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