Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 43.1932

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Verjüngung der Wohnform
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10798#0302

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
290

INNEN-DEKORATION

WERKBUNDSIEDLUNG IN WIEN 1932 WOHNRAUM. FENSTERPLATZ. HAUS J1RASEK

VERJÜNGUNG DER WOHNFORM

Der moderne Wohnraum stellt die Wohn form
einer Ve r j ü n g un g s-Epoche dar.Was heißt:
»Verjüngung?« Wie erfolgt sie? Verjüngung er-
folgt immer durch Losreißung von der dogmati-
schen Bindung an historische Formen und Ideale.
Zwischen historische Ideale und die Gegenwart
schiebt sich ein Bewußtseins-Akt, ein Wachwer-
den, das in der Aussage gipfelt: diese Form der
Vergangenheit hat keinen Anspruch mehr, die Ge-
genwart zu binden. Zu dieser Aussage kommen
junge Geschlechter, die plötzlich bemerken, daß
die gegenwärtige Wirklichkeit mit neuen Inhalten
gefüllt ist, von denen die alten Formen, die alten
Ideale noch »nichts wußten«.. In Zeiten, in denen
die kulturelle Umbildung langsam vor sich geht,
geschieht auch das Abwelken alter Formen und
Ideale langsam. Sie verlieren ihre lebensfassende
Kraft Stück für Stück, in vielen Etappen; sie ver-
lieren sie nicht mit einem Schlage. Nimmt aber das
Einströmen neuer Elemente, nimmt die soziolo-
gische Umbildung, die Revolutionierung des wis-
senschaftlichen Weltbildes, die Neugestaltung der
wirtschaftlichen, finanziellen, politischen Zusam-

menhänge ein stürmisches Tempo an, — wie wir
es heute erleben — so wird der Mensch gewalt-
sam von den alten Idealen fortgerissen. In diesem
Übergang zu neuen Formen, Fassungen und Hal-
tungen liegt viel weniger Freiwilligkeit als man
gemeinhin annimmt. So sehr die ältere Generation
heute den Eindruck haben mag, als handle es sich
bei den »Vorstößen« der Jungen (sei es im Bauen,
sei es in der praktischen Lebens-Ethik, im Denken,
im Organisieren und Glauben) um Willkür-Akte:
diese Jugend ist von einer Gewalt der Zeit ins
Neue hineingeschleudert, damit die Menschheit
als Ganzes in Fühlung mit dem stürmisch voran-
eilenden Geschehen bleibt. Nicht der »Vorstoß«
der Jugend schafft den Streit, sondern es ist Streit
in der Gesamtlage: dergestalt, daß das, was
heute geschehen muß, nicht in der bisherigen, ruh-
igen Kontinuität zwischen den Generationen ge-
schehen kann, sondern durch ein vorübergehen-
des Abreißen oder doch Dünnerwerden dieser
Kontinuität geschehen muß. In der Gesamt-Si-
tuation, die heute die unsere ist, liegt das Gewalt-
tätige, das sich überall im Stürzen und Ändern
 
Annotationen