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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 43.1932

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Michel, Wilhelm: Schönheit ist Einheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10798#0432

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420

INNEN- DEKORATI ON

clemens holzmeistkr. palais kemai. pascha

wintergarten mit blick zum innenhof

SCHÖNHEIT IST EINHEIT

schönheit ist ein biologischer wert

Wir stehen abermals in einem Übergang: es geht
von der Technik als Selbstzweck zur Technik
im biologischen Dienst. Im Zug der biologischen
Werte taucht, am Ende heftiger Kämpfe zwischen
»Geist« und »Leben«, die Schönheit auf. . Schönheit
ist nicht »Verschönerung«. Harmonie ist nicht künst-
liche »Harmonisiertheit«. Schönheit ist leibliche Er-
scheinungeiner ernsten, tief reichenden Tatsache: der
erfüllten, versöhnten Gleichzeitigkeit von Geist und
Leben. Schönheit ist Leistung: nämlich echter Sieg
über die Aufspaltung in Teilkräfte. Schönheit ist die
gesunde Einheit des Menschenwesens — darge-
stellt im Gebilde der menschlichen Hand. Leibwer-
dung krönt jedes echte Werden; Leibwerdung, in der
aller Geist und aller Körper sich ausgewogen erfüllen.

Wir sehen jetzt: das Wort »Schönheit« konnte, ja
mußte eine Zeitlang aus unserer Welt verschwinden,
weil die Einheit des Menschen durch den Einbruch
unübersichtlicher neuer Wirklichkeiten (soziologi-
scher, wirtschaftlicher Veränderungen, geistiger und
wissenschaftlicher Entdeckungen) zersprengt worden

war. . Heute sind die Dinge wieder übersichtlicher ge-
worden. Sie geben sich dem Menschen von neuem in
die Hand. Sie treten zu ihm in eine neue geordnete
Beziehung. Fehlen auch noch die entscheidenden
praktischen Lösungen, so haben sich doch die Frage-
stellungen konsolidiert. Die psychische Einheit des
Menschen vor den Fragen beginnt sich wieder her-
zustellen, und dies ist der Grund, weshalb Schönheit,
das große maßgebende Einheits-Phänomen, in unse-
rem Denken und Schaffen wieder Geltung gewinnt.



Schönheit als Gleichnis der Lebens-Gesundheit
einer Epoche, als Grenze gegenüber dem ordnungs-
losen Ausschwärmen der Teilkräfte, als höchste Ob-
jektivität, als Zucht, als Bestätigung dessen, daß unser
Leiden und Sorgen, unser Forschen und Schaffen nicht
vergebens war. Es zeigt sich, daß die Qual der Ambi-
valenzen außen und innen der einzige Weg war, auf
dem wir uns zu einer legitimen neuen Einheit des
Bewußtseins und damit zu einer neuen Möglichkeit
des Schönen hindurchleben konnten. . Kunst und
Geist spüren einen neuen Mut. . . . Wilhelm michel.
 
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