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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 43.1932

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Ritter, Heinrich: Die Stille des Zimmers
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https://doi.org/10.11588/diglit.10798#0316

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304

INNEN-DEKORATION

werkbundsiedlung, int. ausstelluno wien

wohn- u. schlafraum. haus: e. pl1schke

DIE STILLE DES ZIMMERS

Pascal war Jahrzehnte seines Lebens ans Zim-
mer gefesselt. Von dieser Zwangslage aus sah
er eine Wahrheit, die er eines Tages in die Worte
faßte: »Tout le malheur des hommes vient d'une
seule chose, qui est de ne savoir pas demeurer au
repos dans une chambre.« (Alles Unglück der
Menschen kommt von einer einzigen Sache: von
der Unfähigkeit: ruhig in einem Zimmer zu
bleiben). . Das Wort klingt sonderbar, aber es
ist eine Wahrheit, die dadurch, daß sie einem Men-
schen durch eine körperliche Krankheit abgepreßt
wurde, nichts an Gültigkeit einbüßt. Viele Stun-
den, viele Tage der Einsamkeit gehören dazu, um
den Menschen einsehen zu lassen, welchen Mäch-
ten der Entwertung er sich aussetzt, wenn er nicht
gewisse Schranken zwischen sich und der »Öf-
fentlichkeit« zu wahren weiß. . Da bildet sich in
der schöpferischen Stille des Heims ein Ge-
danke, ein Glaube. Sobald wir damit auf die Straße
gehen, stürzen die Mißverständnisse, die scharfen
»Wenn« und »Aber« wie Harpyien auf sie ein.

Die Stille des Heims ist der Pflanzenboden,
aus dem »Wachstümliches« sprießen kann.
Öffentlichkeit ist der Spaten, der diesen Boden
durchwühlt, Wurzeln zur Sonne kehrt und zum
Verdorren auf den Weg wirft. Das Hinausgehen in
die Öffentlichkeit ist ein wertvolles Korrektiv
für das, was sich an Gedanke und Geisteswerk
in uns gebildet hat. Aber wahllose Öffentlich-
keit ist ein schlimmer Verstoß gegen die Ge-
setze des geistigen Wachstums. Öffentlichkeit ist
im besten Falle korrigierend, — aber das Heim
mit seiner Stille, mit seiner »bestätigenden«
Luft ist schöpferisch. Hier bildet sich Sub-
stanz und Eigenheit, hier wächst die Persön-
lichkeit zu jener festen Gestalt, die im Leben be-
stehen kann. Hier kommt der Mensch zu seiner
wirklichen Auseinandersetzung mit der Welt und
zu seinen echtenVerbindungen mit dem, was drun-
ten, drüben und droben ist. In der Öffentlichkeit
veräußert er, was in ihm wuchs, — in der Stille des
Zimmers sammelt er und erwirbt. . Heinrich ritter.
 
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