INNEN-DEKORATION
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RÜDENAUER »WOHN-ESSZ1MMER« BIRNBAUM NATUR MATT, GESCHIRRSCHRANK MIT MASSIV GESCHNITZTEN FÜLLUNGEN
eine schwere gehäkelte Spreitdecke lag, schloß sich
die moderne Kommode. Hier fing es nun schon ein
bißchen an, nach mir auszusehen, fand ich, denn
hier hatte ich meine Bücher aufgebaut. Alle alten
Schulbücher natürlich auch, damit es reichlicher
aussah; die standen auf dem oberen Regal, aber
meine richtige Bibliothek begann erst im unteren
mit Freytags Ahnen und Storms Schimmelreiter.
Den Rest der Wand füllte die Heizung aus, und
auf der anderen Seite kam zuerst der Kleiderschrank,
ebenfalls muschelverziert, dann ein sehr gemüt-
licher Korbstuhl und mein kleiner Arbeitstisch
(Schularbeitentisch). Die hellen Beine trugen eine
schwarze Platte wegen der Tinte und so, und ich
fand den Kontrast immer sehr apart. In die Platte
waren Herzen und Hakenkreuze eingeritzt, und sie
zeugte in allem von intensiver Arbeit. Hier fand ich
ebenfalls, daß es nach mir aussah, wohl auch, weil
ich wußte, daß die verschließbare Schublade mein
Tagebuch und meine Briefe enthielt. Die Bilder
wurden oft gewechselt. Am Kopfende meines Bettes
hing lange Zeit »Das Mädchen mit den Blumen«
von Gabriel Max, dann wurde es verdrängt von
Fidus' Lichtgebet - das ist aber plötzlich im hohen
Bogen herausgeflogen, um dem Goethe-Bildnis von
Stieler Platz zu machen. Über dem Schreibtisch waren
Postkarten mit Heftzwecken angepinnt, die sehr oft
ausgetauscht wurden.
Ja, und dann war die Schul- und Lehrzeit vorbei,
und es kamen in anderen Städten die möblierten
Zimmer. Und da begann zuerst die Notwendigkeit,
sich die Wohnung ein bißchen persönlich zu ge-
stalten. Auf den Nachtschrank wurden gleich die
Bilder der Eltern gestellt, das war das erste Zuhause,
und dann Platz gesucht für die Bücher, das war das
zweite Zuhause. Wenn ich Goethes Wahlverwandt-
schaften und den Faust und Stifters Nachsommer
für mich sichtbar untergebracht hatte, war ich zu-
nächst beruhigt. Das Weitere hing meistens von der
Wirtin ab. Wenn ihr schließlich das wilde Seestück
über meinem Bett lieb war, konnte ich einfach nicht
so sein und es hinauswerfen. Ich lernte, es zu über-
sehen, so daß es mich gar nicht mehr störte. Die
muffigen Möbel gehörten ja ebensowenig zu mir.
Das »Bei-mir-sein« war in diesen Zeiten nur auf
den kleinen Kreis der elektrischen Tischlampe be-
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RÜDENAUER »WOHN-ESSZ1MMER« BIRNBAUM NATUR MATT, GESCHIRRSCHRANK MIT MASSIV GESCHNITZTEN FÜLLUNGEN
eine schwere gehäkelte Spreitdecke lag, schloß sich
die moderne Kommode. Hier fing es nun schon ein
bißchen an, nach mir auszusehen, fand ich, denn
hier hatte ich meine Bücher aufgebaut. Alle alten
Schulbücher natürlich auch, damit es reichlicher
aussah; die standen auf dem oberen Regal, aber
meine richtige Bibliothek begann erst im unteren
mit Freytags Ahnen und Storms Schimmelreiter.
Den Rest der Wand füllte die Heizung aus, und
auf der anderen Seite kam zuerst der Kleiderschrank,
ebenfalls muschelverziert, dann ein sehr gemüt-
licher Korbstuhl und mein kleiner Arbeitstisch
(Schularbeitentisch). Die hellen Beine trugen eine
schwarze Platte wegen der Tinte und so, und ich
fand den Kontrast immer sehr apart. In die Platte
waren Herzen und Hakenkreuze eingeritzt, und sie
zeugte in allem von intensiver Arbeit. Hier fand ich
ebenfalls, daß es nach mir aussah, wohl auch, weil
ich wußte, daß die verschließbare Schublade mein
Tagebuch und meine Briefe enthielt. Die Bilder
wurden oft gewechselt. Am Kopfende meines Bettes
hing lange Zeit »Das Mädchen mit den Blumen«
von Gabriel Max, dann wurde es verdrängt von
Fidus' Lichtgebet - das ist aber plötzlich im hohen
Bogen herausgeflogen, um dem Goethe-Bildnis von
Stieler Platz zu machen. Über dem Schreibtisch waren
Postkarten mit Heftzwecken angepinnt, die sehr oft
ausgetauscht wurden.
Ja, und dann war die Schul- und Lehrzeit vorbei,
und es kamen in anderen Städten die möblierten
Zimmer. Und da begann zuerst die Notwendigkeit,
sich die Wohnung ein bißchen persönlich zu ge-
stalten. Auf den Nachtschrank wurden gleich die
Bilder der Eltern gestellt, das war das erste Zuhause,
und dann Platz gesucht für die Bücher, das war das
zweite Zuhause. Wenn ich Goethes Wahlverwandt-
schaften und den Faust und Stifters Nachsommer
für mich sichtbar untergebracht hatte, war ich zu-
nächst beruhigt. Das Weitere hing meistens von der
Wirtin ab. Wenn ihr schließlich das wilde Seestück
über meinem Bett lieb war, konnte ich einfach nicht
so sein und es hinauswerfen. Ich lernte, es zu über-
sehen, so daß es mich gar nicht mehr störte. Die
muffigen Möbel gehörten ja ebensowenig zu mir.
Das »Bei-mir-sein« war in diesen Zeiten nur auf
den kleinen Kreis der elektrischen Tischlampe be-