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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Randbemerkungen zu einfachem Hausrat
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0322

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INNEN-DEKO RATION

RANDBEMERKUNGEN ZU EINFACHEM HAUSRAT

ahrheit ist in Fragen der Dinggestaltung viel-
leicht nicht das letzte Wort. Aber sie ist das
erste. Wie die Wahrheitsforderung die gesamte euro-
päische Wohnungskunst revolutioniert hat, so wird
sie durch alle Zeiten hin ein Prinzip des Anfangs
und damit ein Prinzip der Verjüngung, der Grund-
legung neuer Wendungen bleiben. Denn alles »Ver-
altete« hat mit Lüge zu tun, mit Künstelei und
eingewurzeltem Kultus des Scheins. Alles Junge aber
stützt sich auf Natur, Wahrheit und Leben.

*

Georg Christoph Lichtenberg - er lebte bekannt-
lich zur Zeit der Reif röcke und anderer Modekünste -
bemerkt in seinen Aphorismen:

»Wenn die Nachwelt einmal einen ganz aufgetrenn-
ten Damenanzug fände und wollte daraus die Figur
der Dame bestimmen, die damit überzogen gewesen
wäre, was würde da für eine Figur herauskommen!«

Dürfen wir einem solchen Scherz nicht erlauben,
ein kleines, erfrischendes Gelächter zur Kulturkritik

beizusteuern? Lichtenberg hält sich an die Grund-
erkenntnis der Kulturgeschichte, daß alle Gestaltung
Ausdruck eines lebendigen Seins ist: Vom Sein geht
es in die Gestaltung, von der Gestaltung muß rück-
wärts auf das Sein geschlossen werden können. Wo
aber dieser Rückschluß zu so absurden Ergebnissen
führt, wie Lichtenbergs Scherz sie vor Augen stellt,
da ist die Gestaltung ins Maskenhafte abgeglitten.



Wenn moderner Hausrat sich mit schlichten For-
men und niedriger Preisstellung an den breitesten
Bedarf wendet, dann ist dies nicht unter dem Ge-
sichtspunkt einer »sozialen« Aufgabenstellung zu be-
trachten, sondern es handelt sich hier um eine zen-
trale Kulturaufgabe. Wir müssen, um dies zu ver-
stehen, das Gesamtziel der Kulturgeschichte und
namentlich ihren gegenwärtigen Augenblick zu be-
greifen suchen. Alles kulturelle Bemühen zielt dar-
auf ab, die »Menschenform« in allen Lebensbereichen
als eine bestimmte Zueinanderordnung von geistigen
 
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