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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Michel, Wilhelm: Wir und die Dinge
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0153

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INNEN-DEKORATION

135

WOHNZIMMER-
SCHRANK VON
JOS. B E C V AR
UND VIKTOR
RUCZKA-W1EN

WIR UND DIE DINGE

Es gibt einen Augenblick in unsrer inneren Ent- eine Kunst des durchschauenden Lesens an, so wird
wicklung, da sich unsre Schau auf Dinge und ein Bildbericht über eine kunsthandwerkliche Aus-
Begebenheiten nach einer bestimmten Richtung hin Stellung so unterhaltend wie eine weltanschauliche
verändert. Es ist der Augenblick, da wir alle Dinge Debatte. Gäbe es ein Buch, welches nur Bilder von
als Ausdruck von geistigen Kräften erkennen. Die Tischen enthielte, deutsche Tische vom Jahr 900 bis
vorher »blinde« Sachenwelt wird transparent. Wir zum Jahr 1900, enthielte es nicht viel mehr als eine
sehen: nichts ist so, wie es ist, ohne daß eine geistige Übersicht über verschiedene Konstruktionsmöglich-
Kraft ihm eben diese Gestalt gegeben hat. Plötzlich keiten und Werkstoffe? Unzweideutig wäre in ihm
wird da das Leben von neuer Seite interessant; nicht die Rede vom Geiste der Zeiten und vom Volksgeiste,
nur das Leben in seinen Wechselfällen und in seiner wie er sich jeweils vor dem Zeitgeist bewährt. Ein
Bewegtheit, sondern gerade auch die Sachen, die Ding ist immer mehr als Ding; immer ist es Zeichen
Dinge, die uns die Straße oder die Bildberichte vor für ein bestimmtes Denken und Gemüt, ja für ein
Augen führen oder die nah und fern um uns herum- bestimmtes Glauben und Wesen. Bei der Eröffnung
stehen. Du glaubst, Gedichte wären nur in Büchern der 2. Deutschen Architektur- und Kunsthandwerk-
zu lesen, stünden nur als gereimte Verszeilen an der ausstellung zu München ist ein Wort gefallen, das
Feuilletonspitze der Zeitung? - Du irrst. Gedicht, in höchst bedeutsamer Weise diese Zusammenhänge
nämlich Gefüge aus einem bestimmten Geist, ist unterstrich. In der Ansprache des Führers hieß es:
der Tisch, an dem du sitzest, der Laternenpfahl, der »Wenn jemand sagt: Warum bauen Sie mehr als
vor dem Hause steht. Du glaubst, Weltanschauung früher?, so kann ich nur sagen: Wir bauen mehr,
sei dir nur gepredigt, wenn du einen Text vor dir weil wir mehr sind, als wir früher waren.« Scheint
hast, in dem von Materialismus und Idealismus die dieses Wort sich auch zunächst nur auf die Quanti-
Rede ist? - Du irrst; es liegt Weltanschauliches in tätssteigerung unseres Bauens zu beziehen, so meint
der Form jedes Gerätes, das dir dient. Nirgends hast es in Wahrheit doch etwas viel Weiteres und Höheres,
du nur mit Sachen zu tun; von geistigen Mächten, Es bezieht das Gestalten auf das zugehörige Sein.
Absichten bist du umgeben. Gestalt nährt sich von Es faßt das Gestalten im Wie und Was als Ausdruck
Geist, Form nährt sich von der Wirklichkeit des einer Lebenswirklichkeit und führt es so auf die
Seins, aus der sie entsprang. Es kommt nur auf echte, nämlich geistige Wurzel zurück, die jeder For-
 
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