Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

DOI Artikel:
Ein Stück Kinderland
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0201

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

183

Wissen durchs Herz gefahren, daß da aus den Stim-
men von Menschen und Instrumenten ein System
wirklicher, höherer Beziehungen spricht, gegen wel-
ches unser isoliertes, trockenes Ich nur eine Täu-
schung ist? Jene Abkehr von der dürren Verstandes-
welt, die in Stefan Georges Losung liegt »Traum-
fittich rausche! Traumharfe kling!« - ist sie nicht
ein Durchstoßen in wichtige, ältere Bereiche der
Seele, die keineswegs Ausland für uns sind, sondern
Teile unsres wahrsten Lebens? — Deshalb geschieht
es, daß wir heute wie je das mahnende Wort der
Kunst in unsre vier Wände hereinnehmen. Wir tun
es, damit unser Herz die Sehnsucht nicht verlernt,
den Aufbruch ins Weite und Endgültige. Die Kunst
verwaltet das vollständige menschliche Bewußtsein,
d. h. sie weist über alle Begrenzung und Behausung,
die der Mensch nicht entbehren kann, hinaus in die
Fülle der Beziehungen, die ihm zugeordnet sind.
Sie läßt die klare, feste Behausung nicht erstarren zu
einer Zelle, die die Großbeziehung verleugnet und
verdrängt. Sie verwebt mit der Bindung das Wissen
um die freie, herrliche Weite und hält somit den
ganzen Menschen lebendig. In dieser Funktion stehen
Kunsthandwerk und freie Kunst verschwistert neben-
einander. Das erstere spricht vom Stofflichen aus, die
letztere vom Geistigen her; aber in beiden schlägt eine
freie Welt die Augen auf, dem Herzen tief bekannt. -

EIN STÜCK KINDERLAND bleibt in jedem Men-
schen geheim lebendig, und die beiden schönsten
Mittel zu seiner Heraufrufung heißen Natur und
Kunst. Ein Gang in den Wald ist nicht ein Gang zu
Bäumen und ozonreicher Atemluft. Er ist ein Gang
ins einfache, unbedingte, kindliche Dasein, in eine
uns selbst angehörende, aber verschollene Welt. Wir
bewohnten sie als Kinder, aber wir haben sie ver-
gessen, vielleicht sogar billig verkauft und vergeudet.
Wir konnten sie nicht festhalten, weil wir aus
anderen Kräften unsres Wesens zu leben gezwungen
wurden. Aber der Wald hat sie für uns aufbewahrt,
treu und greifbar, und immer können wir sie in ihm
wiederfinden. Die Kunst tut ähnliches. Sie ist das
große Mittel, uns zu erinnern. Sie öffnet plötzlich
wieder die geschlossene Wandung von Zwecken, Um-
ständen, Lebensbedingungen, die sich um uns her
aufgerichtet hat, und gibt den Ausblick in die
wunderbaren Horizonte frei, die sich ewig über
unsrer engeren Welt dehnen wie der Himmel über
dem Dach unsres Hauses. Dieser weitere Horizont
verhält sich zu unsrer engeren Welt wie Traum zur
Wirklichkeit, meinen wir. Aber ist das auch wahr ?
Erleben wir nicht oft das Umgekehrte, daß das Land
der Kunst sich über unsren Alltag hinaushebt wie
eine weitere, gültigere Wirklichkeit über eine selbst-
gewählte Enge Von nur scheinhafter Realität? Wem
ist nicht schon vor einem Bachschen Tongefüge das Richard sqssmuth-penzig »fenster im Speisezimmer«
 
Annotationen