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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Michel, Wilhelm: Vom Amt des Kinderzimmers
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0256

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238

INNEN-DEKORATI ON

JOS. HUGO WILKESMANN »ZIMMER FÜR ZWEI JUNGEN« AUSF. PETER VEDDER-DORTMUND. - RQSTERHOLZ

VOM AMT DES KINDERZIMMERS

Alles Wohnen steht in einer geistigen, kulturellen
b Funktion. Die Wohnräume des Erwachsenen
halten als ein dingliches Gefüge die Form des Kultur-
menschen fest. Sie wirken beständig auf den Be-
wohner ein, daß er sein Leben so führe, wie es ihm
als dem Gliede eines bestimmten Volkes von be-
stimmter Kulturhöhe zukommt. Die Wohnräume
der Kinder haben im Grunde wohl dieselbe Aufgabe.
Aber diese stellt sich so dar, daß sie die jungen Men-
schen freundlich und ohne Härte aus dem Kinder-
dasein zum Erwachsenendasein hinüberführen sollen.
Das Kinderzimmer bildet eine Art Zwischenstufe
zwischen Kinderwelt und Kulturwelt. Es soll noch
ein wenig wissen von dem »Paradies«, aus dem wir
alle herkommen, und es soll schon Vertrauen und
Liebe wecken, zu dem verständigen, gezähmten,
naturenthobeneren Dasein, welches wir als Erwach-
sene zu leben haben. Ist es nicht eine der schönsten
Aufgaben, welche sich Eltern und mit ihnen Archi-
tekten stellen können ? Schließt sie sich nicht ver-
schwistert an das schöne Streben, das wir heute in so

vielen Ländern Verfolgen können: das freudige Ja
zur Jugend, verbunden mit vorbereitenden Lockun-
gen zu der einstigen größeren Gemeinschaft, in wel-
cher das Kind als Mann oder Frau sein Werk zu tun
hat? Goethe sagte, als er 77 Jahre alt war, zu Ecker-
mann: »Wenn auch die Zeit im ganzen vorschreitet,
die Jugend muß doch immer wieder Von vorn an-
fangen und die Epochen der Weltkultur durch-
machen.« Das ist gerade in dem Sinn richtig, den wir
hier mit dem Worte Ȇbergang Von der Natur zur
Kultur« bezeichnet haben. Es ist mehr als ein Scherz,
wenn ein moderner Lebensphilosoph, Hans Künkel,
im Anschluß an dieses Goethewort die Weltkultur-
epochen, die jedes Kind für sich zu durchlaufen hat,
folgendermaßen entrollt: »Aus dem Höhlenbewohner
unter dem Tische und in der Sofaecke wird der
Sammler und Jäger, der Blumen rupft und Schmetter-
linge fängt. Er entwickelt sich zum frohgelassenen
Hirten auf der Wiese und zum ernsten Ackerbauer.
Er durchmißt in ersten Straßenschlachten die wilden
Zeiten der Völkerwanderung und vertieft sich in
 
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