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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Michel, Wilhelm: Erziehung durch Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0059

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INNEN-DE KORATI ON

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landhaus m. »wohnraum im anbau« bank mit stoffbezuo und messingnägeln, kleines fenster verbleit

ERZIEHUNG DURCH BILDER

enn man in einer Filmvorführung war, er-
wischt man sich manchmal auf einer merk-
würdigen Nachwirkung der gesehenen Bilder. Man
ertappt sich z. B. darauf, daß man beim Verlassen
des Kinos seinen guten alten Mantel auf ähnliche
Weise anzieht, wie der Held des eben abgelaufenen
Spielfilms in den seinigen schlüpfte. Er tat dies mit
ungemein trainierten, ausgespielten Bewegungen,
sei es, daß er schlangengleich in den wunderbaren
Flausch hineinglitt, sei es, daß er ihn mit kurzer,
herrischer Geste auf die Schultern meisterte. Wir
selbst sind weit davon entfernt, uns mit diesem be-
frackten Heros von Mantelanzieher, mit seinem
Körpertraining messen zu können (so wenig, wie
unser braver Serienmantel einen Vergleich mit dem
göttlichen Paletot da oben aushält). Gleichwohl finden
wir uns für wenige Minuten geneigt, das vom Film-
helden vorgespielte Bewegungssystem nachzuspielen.

Man spricht in solchen Fällen vom menschlichen
Nachahmungstrieb. Aber es ist nicht bewußte Nach-
ahmung, sondern selbsttätige Reproduktion. Ein

Bild ist gleichsam in unsern Körper eingeflossen und
wird von diesem für eine Weile unbewußt und frei-
willig wiederholt. Und diese freiwillige Wiedergabe
von Bildern durch eigne Körpermittel ist an sich
durchaus etwas Achtbares. Es mag sein, daß auf ihr
manches Drollige an törichter Mimikry beruht; aber
gewiß beruht auf ihr auch etwas so Wichtiges wie die
Erziehungskraft des sinnfälligen Beispiels,
von der wir heute in gewissem Sinne mehr halten
als von der lehrenden Übertragung. Wir empfangen
ständig aus der Umwelt Bilder, die uns bilden; und
zu den wichtigsten Quellen solcher »bildenden Bilder«
gehören unsre Wohnräume. Wohnräume sind nicht
bloße Sachverhalte; sie sind Bewegungsbilder, Nut-
zungsbilder, sie sind erzieherische Spiele von prägen-
der Energie. Dem geborenen Rohling helfen sie viel-
leicht nicht weiter. Aber die ungezählten Tausende,
deren ansprechbares Gemüt nur auf das Bild und
Beispiel zur edleren Seinsform wartet, können vom
verantwortlich schaffenden Raumgestalter lebens-
wichtige Förderung empfangen. - Wilhelm michel
 
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