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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Mayreder, Friedrich: Zweckform und "Stil"
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0149

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INNEN-DEKORATION

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ZWECKFORM UND »STIL«

In jedem räumlichen Organismus vermittelt der-
jenige Raum, der vom Besucher oder Beschauer
als erster betreten wird, auch den ersten, oft be-
stimmenden Eindruck, er mag schlecht, er mag gut
sein. Das gilt für die Eingangshallen repräsentativer
Bauten genau so wie für die Vorräume städtischer
Mietwohnungen. Es hat deshalb sehr wohl einen Sinn,
wenn an der Spitze von Bildern nach Wohnräumen
der Wiener Architekten Josef Becvar und Viktor
Ruczka die Darstellung eines Vorzimmers steht. Es
kann gesagt werden, daß in ihm die Gesinnung auch
der eigentlichen Wohnräume deutlich wird. In un-
serem besonderen Fall ist sie dahin zu kennzeichnen,
daß auch die einfachsten, dem praktischen Gebrauch
dienenden Einrichtungsstücke in ihrer Gestaltung be-
wußt und notwendig über die reine Zweckform hin-
ausgehen müssen. Die technisch vollendete Maschine
kennt im Grunde nur eine einzige gültige Form, in
der sie verharrt: es ist kaum anzunehmen, daß etwa

das Fahrrad sein Gesicht noch entscheidend ändern
wird, und schon gar nicht, daß etwa mehrere voll-
endete Typen verschiedener Form nebeneinander be-
stehen könnten. Eine Wohnung, ein Schrank, ja ein
Stuhl kann für dieselbe Bestimmung vielfältig ver-
schiedene Gestalt annehmen, ohne sich gegen die
Verwendbarkeit zu versündigen.

Man wird oft gefragt, ob derlei mit »Stil« zusam-
menhinge, ja, die Frage geht oft danach, in welchem
»Stil« dieses oder jenes Möbel gestaltet sei. Es ist
schwer, darauf zu antworten; denn eigentlich müßte
man weit ausholen und dem Frager eine Art Vor-
lesung über Gestaltungsfragen halten.

Es bleibt zumeist nichts übrig, als sich mit einer
kurzen Antwort zu begnügen, die oft nur eine halbe
Wahrheit ist. »Das ist gar kein Stil«, sagt man etwa,
»das Möbel ist modern.« Da meint unser Gegenüber,
nun befreit: »Also moderner Stil!«, und ist recht er-
staunt, wenn wir widersprechen: »Nein, gar keiner !«
 
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