INNEN-DEKO RATION
147
DAS HEIM UND DIE LEBENSAUFGABE. Am
Morgen eines jeden Tages heißt es von neuem:
Leben, Dasein, Schaffen. Was wir unsre Wohnung
nennen, ist eine wunderbare Hilfe, um sofort in diese
Aufgabe wieder einzutreten. Der Arbeitstisch hält die
begonnene Arbeit bereit zum ruhigen Fortfahren.
Der Blick aus dem Fenster bietet das gewohnte Bild,
die Bäume im Garten, die genügsamen Wege zwi-
schen den Rasenflächen. Je mehr Dinge sich in uns
selber bewegen, desto wohltuender ist die stille Treue
der Räume, der äußeren Umgebung. Das Wesen die-
ser wohltuenden Wirkung liegt darin, daß wir am
Bekannten, das uns umgibt, sogleich auch uns selber
wieder erkennen und bei klarem Bewußtsein unsrer
Pflichten und Bedingungen bleiben. Warum steht in
allen Kulturgeschichten zu lesen, daß erst mit der
Seßhaftigkeit eine höhere menschliche Kulturform
auftritt? Weil der Mensch erst mit dem festen Ver-
hältnis zu Erde, Landstrich, Klima, Haus das
Dauernde in seinem eignen Wesen erkennt und
bejaht. Für den Nomaden können sich Gestern und
Heute nicht liebend verknüpfen; er lebt nur im punkt-
haften Augenblick, und auf dem unter seinen wan-
dernden Füßen gleichsam dahinfließenden Erdboden
kann in seinem Gemüt kein festes, bildendes Be-
wußtsein wachsen. Ohne ein festes Element an Be-
sitz, sagt Hegel, kann sich das Höhere im Menschen
nicht entwickeln. Haus, Wohnung, Besitz sind etwas
durchaus andres, als bloß »Vermögen«, Reichtum
oder Kapital. Unendlich vieles an geistigen Werten
ENTWURF:
ARCHITEKT
WOLDEMAR
BRINKMANN
CAFE DES KQNSTLERHAUSES »FENSTERNISCHE« VERTAFELUNO: OTTO FR1TZSCHE
147
DAS HEIM UND DIE LEBENSAUFGABE. Am
Morgen eines jeden Tages heißt es von neuem:
Leben, Dasein, Schaffen. Was wir unsre Wohnung
nennen, ist eine wunderbare Hilfe, um sofort in diese
Aufgabe wieder einzutreten. Der Arbeitstisch hält die
begonnene Arbeit bereit zum ruhigen Fortfahren.
Der Blick aus dem Fenster bietet das gewohnte Bild,
die Bäume im Garten, die genügsamen Wege zwi-
schen den Rasenflächen. Je mehr Dinge sich in uns
selber bewegen, desto wohltuender ist die stille Treue
der Räume, der äußeren Umgebung. Das Wesen die-
ser wohltuenden Wirkung liegt darin, daß wir am
Bekannten, das uns umgibt, sogleich auch uns selber
wieder erkennen und bei klarem Bewußtsein unsrer
Pflichten und Bedingungen bleiben. Warum steht in
allen Kulturgeschichten zu lesen, daß erst mit der
Seßhaftigkeit eine höhere menschliche Kulturform
auftritt? Weil der Mensch erst mit dem festen Ver-
hältnis zu Erde, Landstrich, Klima, Haus das
Dauernde in seinem eignen Wesen erkennt und
bejaht. Für den Nomaden können sich Gestern und
Heute nicht liebend verknüpfen; er lebt nur im punkt-
haften Augenblick, und auf dem unter seinen wan-
dernden Füßen gleichsam dahinfließenden Erdboden
kann in seinem Gemüt kein festes, bildendes Be-
wußtsein wachsen. Ohne ein festes Element an Be-
sitz, sagt Hegel, kann sich das Höhere im Menschen
nicht entwickeln. Haus, Wohnung, Besitz sind etwas
durchaus andres, als bloß »Vermögen«, Reichtum
oder Kapital. Unendlich vieles an geistigen Werten
ENTWURF:
ARCHITEKT
WOLDEMAR
BRINKMANN
CAFE DES KQNSTLERHAUSES »FENSTERNISCHE« VERTAFELUNO: OTTO FR1TZSCHE