Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

DOI Artikel:
Magie der Linien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0115

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

99

großer Müdigkeit vermochte ich nicht, den Sinnes-
eindrücken zu entfliehen. Immerfort hörte, fühlte,
sah ich, das nebensächlichste Geräusch war wesent-
lich . . . Die Helligkeit im Zimmer erregte Frost-
gefühl. Diese Kalt- und Helligkeitsempfindung be-
stand nicht nur gleichzeitig, sondern schien mir ein
und dieselbe zu sein. Eine Wärmeempfindung kam
nicht auf, obgleich die Mittagssonne eines Sommer-
tages das Zimmer ganz erfüllte. Vorher, im (be-
deutend kühleren) Keller, hatte ich mich im Dunkeln
wärmer gefühlt.«

*

Es hätte wenig Sinn, von solchen in »abnormen«
Zuständen gemachten Erfahrungen zu sprechen,
wenn nicht feststünde, daß in diesen Zuständen nur
deutlicher hervortritt, was in normalen Zuständen
ebenfalls vorhanden ist, aber unbewußt oder halb-
bewußt bleibt. Daß es stechende Farben, kalte oder
gar drohende Linien gibt, ist nicht Einbildung, son-
dern eine Tatsache aus jenem Wirklichkeitsbereich,
den unser begriffliches Bewußtsein zu übergehen
pflegt, weil es ihm eben nicht unterworfen sein will.
Jedoch hört er dabei nicht auf, zu existieren und ge-

heime Wirkungen auszusenden. Und aus dieser Er-
kenntnis können wir Nützliches lernen. Erweist sich,
daß übergroße Helle des Raumes im untei bewußten
Empfindungsleben als Kälte, ja als Schmerz regi-
striert wird - warum sollen wir diese geheime Be-
lastung nicht meiden? Erweisen sich schlechthin
alle Linien, Farben, Reize im Unterbewußten als
wirksam — warum sollen wir dies nicht schon bei
unsren bewußten Planungen in Rechnung setzen
und sie auf das Freundliche, Wohltätige abstimmen ?
Man denke zurück an die närrische Vorliebe für
spitze, gezackte, keil- und speerklingenartige For-
men, die vor etwa zehn Jahren in der expressionisti-
schen Gestaltung herrschend war. Welche Versün-
digung an jenem verborgenen Empfindungsleben, das
sich doch unmöglich auf die Dauer mit Formen des
Schneidens, Stechens und Verwundens abfinden
kann! Wo solche Fehlgriffe vorkommen, haben wir
den Sieg eines verdrehten Zeitgeistes über das eigent-
lich künstlerische Gestalten. Denn dieses ist seinem
Wesen nach dazu berufen, die Verbindung zur gan-
zen Seinswirklichkeit des Menschen und namentlich
auch zu deren unterbewußten Abschnitten zu hüten.

1939. III. 4
 
Annotationen