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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Kropp, Ernst: Die Form des XX. Jahrhunderts, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0317

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INNEN-DEKORATION

299

Die technischen Scheußlichkeiten von früher sind
zum größten Teil überwunden, so daß heute schon
von einer Schönheit der technischen Dinge ge-
sprochen werden kann. Und der lächerliche Kampf
gegen die Technik ist verstummt, denn so mancher
Nörgler von früher erfreut sich heute des guten Kon-
zertes vor seinem Radio oder genießt jetzt gar die
Leistungen seines eigenen schönen Autos, über die
er früher geflucht hat. So hat sich vieles in den letzten
Jahrzehnten im Menschen gewandelt, und das, was
er vor kurzem noch gehaßt hat, hat er sogar lieben
gelernt. Dadurch hat sich aber auch in unserem
Formgefühl vieles geändert, denn dieses geradezu
fieberhafte Gestalten an den neuen Dingen hat uns
zu neuen Formgesetzen geführt und neues Form-
empfinden in uns geweckt.

Die technischen Dinge waren uns anfangs geradezu
unangenehm, und vor allem wesensfremd. Wesens-
fremd deshalb, weil sie im Gegensatz zu unserem
bisherigen Schönheitsempfinden standen.

Es ist anzunehmen, daß unser Schönheitsempfinden
aus den uns nächstliegenden Formgesetzen des eige-
nen Körpers sich entwickelte, und die bildende Kunst
beweist tatsächlich, daß nur diejenigen lebenden
Organismen künstlerisch anregend auf uns wirken,
die uns in ihrem Schönheitsausdruck verwandt sind.

Sobald wir die organische lebendige Form in ihre
Grundelemente, in Stoff, Bewegung und Gestalt zer-
legen, wird uns klar werden, warum uns die tech-
nischen Dinge wesensfremd waren.

Unser Körper hat den Ausdruck einer elastischen,
biegsamen Gestalt in geschmeidiger Materie und im
Spiel seiner Gliederung eine variable, relativ unbe-
grenzte Bewegungsart. Gerade das Geschmeidige,
Elastische und Rhythmische der Bewegung ist für
den Schönheitsausdruck wesentlich, denn sobald der
harte Stoff, der Knochen zu stark in Erscheinung
tritt, schwindet unsere Schönheit, und Krankheit,
Zerfall und Tod kommen zum Ausdruck.

Diesem Schönheitsempfinden steht nun plötzlich
die technische Form mit ihrer starren Gestalt, ihrem
harten Stoff und ihrer begrenzten Bewegungsart, die
sich oft nur noch in Rotationen vollzieht, gegenüber.
Also in Stoff, Gestalt und Bewegung gerade das Gegen-
teil. Die Technik führt uns zu einem Formproblem,
das unserem Körper und unserem ganzen bisherigen
Schönheitsempfinden wie ein Gegenpol gegenüber-
steht und noch nie im Menschenwerk zum Ausdruck
gebracht wurde. Man könnte hier einwenden, daß die
Architektur ja auch starre Formen hat, aber im
statischen Sinne, nicht im dynamischen, wie es beim
Auto oder Flugzeug der Fall ist. In diesen neuen
Dingen handelt es sich um die Schönheit organisch
bewegter Körper, die schon Wesensausdruck zeigen.

Viele unserer heutigen Erfinder haben Idee und
Belehrung aus der Natur entnommen. Wir könnten
noch lange nicht fliegen, wenn uns nicht die Tierwelt
die Möglichkeiten gezeigt hätte. Von der Luftschraube
des fliegenden Samenkornes bis zur Stromlinienform

ist alles von der Natur schon erprobt und durchlebt.
Aber der Mensch hat dies erst in der Natur sehen
gelernt, nachdem ihm seine Entwicklung diese Auf-
gaben gestellt hat. Damit beginnt zugleich das Ver-
ständnis für eine Formenwelt in der Natur, die der
Mensch vordem kaum beachtet hat. Das zum Bei-
spiel jetzt so wichtig gewordene Stromliniensystem,
das der Mensch erst nach Jahrtausenden entdeckt hat
und schließlich im Wind- oder Wasserkanal sogar
zu berechnen imstande ist, hat er im Vogel, Fisch
oder Insekt täglich vor Augen gehabt, ohne es zu
sehen und zu erkennen. Erst durch die geschaffenen
neuen Kräfte ist die Überwindung von größeren Luft-
und Wasserwiderständen zur Aufgabe geworden, was
von selbst zum Stromliniensystem führt. Derartige
Formen zu bilden, ist aber nicht nur ein rein tech-
nisches Problem, sondern auch mitbestimmend für
die Schönheit, in der der Wille und die Funktions-
möglichkeit plastischer Ausdruck wird.

Hier kann uns die Natur die beste Aufklärung
geben, und zwar durch jene lebenden Wesen, die die
größten Kräfte entwickeln und deren Gestalt aus
harten Stoffen zu einer starren Form geworden ist.
Die schönsten dieser Beispiele finden wir bei den
Käfern, Zikaden und Heuschrecken. Hier erkennen
wir die Formgesetze unserer heutigen Technik in den
besten Leistungen und den prachtvollsten Vollen-
dungen wieder. Es gibt Käfer, die nicht nur ausge-
zeichnete Schwimmer und Taucher sind, sondern
auch hervorragende Flieger. Schiff, Unterseeboot und
Flugzeug ist hier in ein und derselben Form ver-
körpert, um nur ein Beispiel dafür zu geben, welch
ungeheure Anforderungen in so einer Gestaltung ge-
löst sind. Außerdem zeigen diese Wesen eine Schön-
heit und Farbenpracht, die jenen lebenden Organis-
men nicht nachsteht, welche der Kunst als anregende
Modelle dienten. Sie sind nur in einem anderen Form-
gesetz gestaltet, im Organisch-Lebendigen der starren
Form und der damit bedingten einförmigen, be-
grenzten Bewegungsart (in Scharnier- und Kugel-
gelenken) .

Ein einfacher Vergleich zwischen dem Sprungbein
einer Heuschrecke und dem Bein des Menschen wird
uns die Grundgegensätze dieser zwei Formbildungen
begreiflich machen.

Bei dem Bein der Heuschrecke ist sozusagen der
Knochen zur äußeren plastischen Hülle geworden,
während die elastische Muskulatur innen sitzt und
nicht sichtbar ist. Dagegen ist umgekehrt beim Men-
schen (den Säugetieren) die elastische Muskulatur
das plastische Element, der harte Stoff dagegen, der
Knochen ist verdeckt. Wir sehen, wie diese zwei
Formprobleme als Ausdruck in Stoff, Gestalt und
Bewegung direkt entgegengesetzt sind. Die höhere
Kraftleistung ist zweifellos in dem Formgesetz der
Heuschrecke, und die Technik beweist, daß wir durch
die Steigerung der Kraft und Fortbewegung immer
mehr an die Mechanik und Dynamik der starren
Form und ihren Ausdruck gebunden sind.

(Fortsetzung folgt)
 
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