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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Barlach, Ernst: Eine Steppenfahrt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0016

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Ihn und alle anderen, wie sie das Auge gleich
Knöpfen auf der Weste des Horizonts abzählt,
haben vor undenklichen Zeiten die Steppenbewohner
als Feuersignalhügel aufgeworfen. Erdige Zinnen,
von denen Flammen beim Einbruch fremder Horden
die Botschaft in die Ferne winkten. Später sind
diese Stätten als Gräber benutzt, und der unsere
sowohl, wie andre weiterhin, ist aufgewühlt und
nach Grabgegenständen durchsucht. Ja, wenn man
so über diese runden Wälle streicht, von denen
mehrere zusammenliegen gleich Mondkratern, und
dann ein Viertelstündchen weiterhin diesselben
ausgehöhlten riesigen Maulwurfshügel betrachtet,
wird einem wohl der Zweck als Feuerstation
verdächtig. Für diesen Berg hätte ein einziger
Hügel genügt, ja ein Feuer auf der nackten
Platte gleichgut gedient. Wozu nun statt eines
Hügels deren mehrere? Und warum, statt eines
weiteren auf der Spitze des fernsten Horizonts,
noch andre auf den geringeren Höhen? Nun, sie
heissen einmal Tartarenhügel und beschwören mit
solchem Namen den Geist einer Vorwelt herauf.
Einer Völkerwandcrungsvor- oder Nachzeit. Einer
Zeit, deren Augen auf dieselben Farben und Formen
fielen, die andre Seelen in sich hegte und Lebens-

formen auf diesen nackten Flächen gebar, Sitten
hervortrieb und ihre mannigfachen Gestalten auf-
kommen und niedergehen sah. Diese Grabstätten
sprechen von jener Seelen Abschiedsschmerz und
Erinnerungsinbrunst so deutlich wie die Inschriften
der Ruhestätten unserer Toten. Ja, sie sprechen
von einem Uberdrang der Trauer und einem Ein-
fühlen in einen unbegreiflichen, aber heiligen und
wunderbaren Zustand. Die Majestät der Toten-
ruhe sollte keines Grabschauflers Gesellen Gelegen-
heit zu Spässen machen; der letzte Schlaf sollte
schön sein vom Traum der unendlichen Ferne;
auf dem breiten Wölbrücken der Erdwelle sollte
den Toten eine schwebende Ruhe in die Ewigkeit
tragen. Todesstimmungen, die in Totenklagen aus-
brechen, gedämpft und doch so leidenschaftlich,
haben diese Völker mit ihrem Pathos durchzogen
und schwere und heilige Empfindungen zu Melo-
dien gewoben.

Als wir abstiegen waren Sonne und Wind
gleich mächtig; es war frisch und doch warm und
und man genoss nach dem Einfluss der Totenluft
der Nacht das lebendige Zudringen frisch von
Himmelshöhen ergossener Luftstöme. Am Abhang
des Hügels schräg hingelehnt hatte die moderne





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