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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Schadow, Gottfried: Über fliehende Gewänder und Falten im Winde: ein Vortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0025

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Freund der Schönen ist, hat dem Künstler den Auf-
trag gemacht, ihm einige* weibliche Figuren auf
dem Papiere zu fixieren, in leichtem Gewände, bei
stürmischem Wetter, wenn der verwegene Wind die
Falten von den Höhen der Glieder weghaucht und
uns über die Gestalt und Verhältnisse derselben
einen durchsichtigen Blick erlaubt.

Das erste sei also eine gegen den Wind gehende
Figur.

In seiner Schule hat er (der Künstler) gelernt,
auch bei bekleideten Figuren damit anzufangen,
sich solche unbekleidet zu denken und ihnen so
Stellung und Gebärde zu geben; und obwohl bei
jeder Aufgabe das ganze Bild davon in seiner Phan-
tasie schimmert, so zwingt ihn der Verstand dieses
ganze wegzuschieben, um sich ungestört mit dem
Gerüste einzulassen, welches hier die Richtung der
Partien des menschlichen Körpers an sich sind.

Die erste Bemerkung ist diese, dass der Mensch
bei starkem Winde einen andern Gang annimmt
als bei ruhigem Wetter. Im allgemeinen will ich
hier nur vom Gange anführen, dass jeder Mensch
einen eigentümlichen hat, welches daraus erhellet,
dass schon unser blosses Gehör ihn an bekannten
Personen wieder erkennt. Noch grösser und cha-
rakteristischer ist die hieraus entspringende Mannig-
faltigkeit für den Sinn des Gesichts. Stärke, Schwäche,
Stolz, Bescheidenheit, Mut, Furcht, Erziehung und
Alter — alles dieses bestimmt den Gang. Um all-
gemein zu reden, will ich beim Alter bleiben.
Junge Leute gehen bei ruhigem Wetter folgender-
massen: Sie stellen das schreitende Bein erst vor sich,
wiegen den Körper bis zum Schwerpunkt hinüber,
welches mit dadurch bewirkt wird, dass der hintere
Fuss, welcher platt aufstand, den Hacken hebt. Im
ersten Moment des Hackenaufhebens ist das ganze
Bein gestreckt (worunter ich den Schenkel und die
Röhren verstehe). Indem dasselbe Bein in die
senkrechte Linie unter den Körper kommt, hat es
zugleich den Moment der stärksten Biegung er-
reicht. Denn erstlich hat es hier den kürzesten
Raum, und zweitens liegen die Zehen gegen den
Hacken in vertikaler Richtung zur Erde gesenkt.

Hiervon will ich zwei Abweichungen anführen.

Einige hemmen die sich schräg schiebende
Lage des Körpers, bleiben mehr gerade aufgerichtet,
und heben in demselben Momente den Hacken des

Hierzu im Manuskript die charakteristische Variante:
„von den niedlichen Geschöpfen auf dem Papiere zu fixieren,
die auf Spaziergängen und in Wind und Wetter in langen
weissen Röcken umherziehen, und die der verwegne Wind uns
in ihrem schiinen Wüchse zei<'t."

vorgeschrittenen Fusses, wodurch die ganze Figur
abwechselnd Elevation bekömmt. Und dieses giebt
das, was wir den hüpfenden Gang nennen. Andere,
um' dem gehobenen Beine im Momente der grosse-
sten Kürze den nötigen Raum zu verschaffen, legen
den Körper auf die Seite, und dieses giebt den
watschelnden Gang.

Mehr will ich für jetzt nicht anführen. Um
bald weiter zu kommen, erlaube man mir hier
einen Sprung zu machen, und vom Gange alter
Leute zu bemerken, dass sie damit anfangen, den
Oberleib und Kopf vorzulegen; der Unterleib bleibt
in senkrechter Richtung. Dieses giebt die Krüm-
mung der Rückenwirbel. In demselben Momente
nehmen vermöge den Gesetzen der Ponderation die
Beine eine diagonale Richtung an. Dadurch be-
kömmt der Kopf des Schenkelknochens etwas von
derjenigen Lage in der Pfanne, die er beim Sitzen
zu haben pflegt. Die Beine werden nicht abwech-
selnd gestreckt und gebogen (denn darin besteht
die Biegsamkeit, Gelenkigkeit), sondern bleiben in
gleicher Krümmung, welches auch wegen der Steif-
heit im Fussgelenke recht gut angeht. Der Fuss
bleibt, anstatt sich wie bei jungen Leuten herunter-
zusenken, in beständiger horizontaler Lage, wes-
wegen sie auch nicht hüpfen können. Dieses zuerst
Vorwärtssenken des Oberleibes ist auch Schuld,
dass alte Leute leicht fallen. Denn die Beine heben
sich wenig über die Erde, stossen leicht an, stellen
sich dann in dem gehörigen Momente nicht unter
die überhängende Last, und so gerät der ganze
Leichnam bald von der diagonalen in die horizon-
tale Lage. Sehr alten Leuten ist deswegen der
Stab unentbehrlich, denn hier ist der Oberteil be-
ständig über den Schwerpunkt hinaus.

Dieses vom Gange Gesagte hab ich vorangehen
lassen, um auf diejenige Attitüde zu kommen,
welche die Figur annimmt, welche gegen den Wind
geht. Die Luft streift alsdann in horizontaler
Richtung. Ob die Bewegung nach den Gesetzen
der Mechanik der Luft die Kraft giebt, oder ob sie
wirklich alsdann gedrängter ist — genug, wir
fühlen den Widerstand, so dass wir uns nach Ver-
hältnis der Festigkeit des Windes dagegen lehnen.
Lehnen heisst sich mit dem Leibe aus dem Schwer-
punkte herauswerfen. Jedoch geschieht solches
bei jungen Leuten, mit gestrecktem Leibe ausser
dem Kopfe, der mehr vornübersinkt, teils um die
Augen und die Haut des Gesichts zu schützen, teils
um die Haare auszuweichen, weswegen auch zu
weilen der Kopf von der Seite gewendet wird, wi

w

zu-
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i.i.

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