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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Schadow, Gottfried: Über fliehende Gewänder und Falten im Winde: ein Vortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0027

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hier in der ersten Figur angemerkt ist. Auch sieht
man öfters solche, die mit aufgerichtetem Gesicht
dem Winde entgegengehen.

Vom Gewände ist viererlei zu bemerken.
Erstens hängen Falten vermöge ihrer eigenen
Schwere senkrecht herab. Durch den Widerstand
der Luft, der eine horizontale Richtung hat, werden
sie mitgenommen. Teilt man die Kraft beider
Wirkungen, so entsteht die Diagonallinie. Zweitens
von denjenigen Teilen des Körpers, die wir Künstler
die äussersten Höhen nennen, treibt die Luft das
Gewand weg, und dafür entsteht an den vom
Widerstände der Luft entferntesten Teilen ein desto
grösserer Zusammenfluss von Falten, gleichsam eine
Gruppe. Drittens scheint es, dass die Luft an dem
Ende der Gewänder nicht mehr ihre volle Kraft
verwenden kann, denn diese kommen abwechselnd
wieder in die senkrechte Linie. Viertens ganz freie
Gewänder, die keinen Körper umschliessen, geben
in der Luft in abgeteilten Distanzen horizontale
und senkrechte Linien.

Die zweite Figur ist eine solche, die vom Winde
getrieben wird. Hier lehnt sich der Körper rück-
wärts aus dem Schwerpunkte hinaus, ein Gang,
der nur im Winde stattfinden kann. Etwas Ahn-
liches entsteht aber auch, wenn jemand rückwärts
geht, nur kann alsdann der Körper nicht ruhig in
der Richtung bleiben, sondern ist abwechselnd
senkrecht und schräg.

Die dritte Figur hat den Wind von der Seite,
welches ebenfalls ein kleines Hinneigen nach der-
jenigen Seite, wo die Luft herkommt, veranlasst.

Was wir in der ersten Figur sehen, nämlich das
Zurückstreifen desGewandes,indemderKörper voran
ist und das Gewand zurückbleibt, solches sehen
wir auch an laufenden Figuren bei ruhigem Wetter.
Der Künstler kann über das Gewand selbst seine
Beobachtungen im Winde weit besser anstellen,
weil sich die Figuren langsam bewegen.

Bei schwebenden Figuren kann die Bekleidung
zur Deutlichkeit beitragen, ob nämlich solche her-
nieder oder in die Höhe gehen. Allerdings muss
die Attitüde erst gehörig bedacht werden. Als-
dann aber ist das Zurückbleiben der Falten von den
äussersten Höhen der Figur die Anzeige von dem
Zuge, welchen die Figur nimmt. Da aber in der
Phantasie des Künstlers zu dem Bilde sich die Be-
wegung hinzufügt, wodurch nämlich in jedem
Momente die Falten andere Brüche und Linien
formieren, er dagegen nur einen einzigen Moment

darstellen kann, so muss er mit vieler Promptitude
wenigstens das Totale entwerfen; die Details lassen
sich nur durch beständige Zurückrufung des ganzen
Vorbildes ausführen.

Hieraus ist leicht zu ersehen, mit wie mannig-
faltigen Schwierigkeiten die Darstellung schweben-
der Gewänder verbunden ist, und dass er (der
Künstler) allem hier Gesagten nachkommen kann,
ohne deswegen Gewand zu machen, welches wahr

und schön ist.

Denn die Kunst ist ein Handwerk, in welchem
man alle Regeln beobachten und dennoch etwas
Schlechtes hervorbringen kann.

•Sa-
Nachschrift des Herausgebers.

Die kleine Abhandlung, die hier zum ersten-
mal dem Druck übergeben wird, enthält, indem sie
eines der schwierigsten Probleme bildender Kunst
beleuchtet, Schadows künstlerisches Glaubens-
bekenntnis. Alle Kunst, so lautet dieses Credo,
beruht auf der genauesten Beobachtung der Natur,
die gleichsam mit philologischem Scharfsinn in die
Vorgänge des Organismus eindringt, sich über Ur-
sache und Wirkung einer Erscheinung, sowie über
die Verknüpfung der einzelnen Stadien, die sie aus-
machen, bis ins kleinste Klarheit schafft. Indessen,
so schränkt der Meister umgehend den Wert dieser
Erkenntnis ein, auch die genaueste Befolgung aller
Regeln gewährleistet nicht die Güte und Schönheit
eines Kunstwerks.

Das Notizbuch, in dem sich die Niederschrift
vorfand, gibt keinen Hinweis auf die Zeit ihrer
Entstehung. Dagegen enthält Schadows Schreib-
kalender vom Jahre 1804 unter dem 10. Novem-
ber die Notiz: „abends las ich in der Humanität
vom Gange und den Falten im Winde". Die Hu-
manität war eine schöngeistige Gesellschaft, die,
1796 gesiftet, sich jeden Sonnabend in einem
Lokal der Royal York Loge versammelte, um den
Vortrag eines Mitgliedes anzuhören.

Sehr beklagt der Herausgeber, die drei
erläuternden Zeichnungen nicht aufgefunden zu
haben. Vermutlich sind sie, ad hoc und in grossem
Maassstab entworfen, gar nicht mehr vorhanden.
Statt ihrer sei aus den Zeichenbänden des Berli-
nischen Künstlervereins die Studie einer Tänzerin
beigefügt, die, gleichfalls zum erstenmal veröffent-
licht, den Meister bei der praktischen Lösung des
Problems vom fliegenden Gewände zeigt.

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