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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 1
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Proust, Antonin: Erinnerungen an Edouard Manet, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0047

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Haar lang und wellig von der Stirn zurück, doch
schon mit siebzehn Jahren wurde der Haaransatz
spärlicher ; der Bart, der die Lippenlinie überschattete
aber den mattweisen Hals ff eiliess, gab der unteren
Gesichtshälfte einen sanfteren Ausdruck, zu dem
die leichtergrauten, feinen Haare ausnehmend har-
monisch passten. Es gab wohl wenige so verführe-
risch wirkende Menschen.

Trotz seines scharfen Geistes und seiner Neigung
zum Skeptizismus hatte er sich seine Kindlichkeit
bewahrt. All und jedes setzte ihn in Erstaunen, ein
Nichts konnte ihm Vergnügen bereiten. Dafür
nahm er alles, was mit der Kunst zusammenhing,
so ernst, dass er in diesem Punkte geradezu unzu-
gänglich war; in seinen Überzeugungen unerschüt-
terlich und unantastbar, liess er keinen Widerspruch,
nicht einmal eine Diskussion zu.

Während unserer Studienzeit in Rollin, lasen
wir in einem Kursus bei unserem Geschichtslehrer,
Herrn Walion, dem Schöpfer der Konstitution von
1875, die Salons von Diderot. Ein Vorwurf, den
Diderot gegen einige Maler seiner Zeit richtete, dass
sie Dreispitze malten, die sicherlich dazu verdammt
seien unmodern zu werden, veranlasste Manet zu
dem ärgerlichen Ausruf: „Herr Gott, ist das dumm,
man muss doch seine Zeit malen, das wiedergeben,
was man sieht und sich den Teufel um die Mode
kümmern".

Bei Couture brachte ihn die Art des Unter-
richts zur Verzweiflung. „Ich weiss gar nicht,
warum ich hier bin", pflegte er zu sagen. „Alles,
was man vor Augen hat, ist lächerlich, das Licht
ist falsch, die Schatten sind falsch. Trete ich ins
Atelier, so scheint es mir, als komme ich in ein
Grabgewölbe. Ich weiss wohl, dass ein Modell sich
nicht auf offener Strasse ausziehen kann. Aber es
giebt doch noch Felder, und wenigstens im Sommer
Hessen sich Aktstudien im Freien machen, denn das
Nackte ist doch, will mir scheinen, das erste und
letzte Wort in der Kunst."

Damals, es war im Jahre 1850, waren wir
achtzehn Jahre alt. Das Atelier Couture zählte fünf-
undzwanzig bis dreissig Schüler. Es befand sich
im Eckhaus derRueLaval (jetzt Rue Victor-Masse)
und der Rue Pigalle. Wie in allen Schülerateliers
zahlte man einen monatlichen Beitrag, um nach
einem männlichen oder weiblichen Modell zu ar-
beiten. Couture kam zweimal wöchentlich zu
uns, prüfte unsere Studien mit zerstreuten Blicken,
setzte eine Ruhepause an, drehte sich eine Zigarette,
erzählte eine Anekdote von seinem Lehrer Gros

un

„.d verschwand. Ab und zu, jedoch selten, kam
einer der früheren Schüler des Ateliers: Puvis de
Chavannes, Moeginot, Armand Dumaresq, Henry
Hoffer. Hätte jemand die Diskussionen mit an-
hören können, die sich in solchen Momenten er-
hoben, so musste er glauben, dass das Heil der
Kunst von dem Triumph des Ateliers Couture
über das Atelier Picot, die Rivalen waren, oder von
dem Übergewicht des Ateliers Picot über das Atelier
Couture abhinge. Manet pflegte dann mit Achsel-
zucken zu sagen: „Die Natur schert sich den Teufel
um all das Zeug. Was ists denn weiter? Picot ge-
hört zum Institut, Couture nicht. Er könnte es
ebenso gut, das hängt einfach davon ab, ob einer
ein Halbdutzend Leute mehr oder weniger oft be-
sucht. Was geht uns das an?"

Nichtsdestoweniger machteerinderlandläufigen

Münze der Ateliers gern seine Witze über die Schüler
von Picot, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
Aber seine Spässe waren so lustig, dass ihm niemand
darum lange gram blieb. Man liebte in ihm, ganz los-
gelöst von jeder Atelier-Parteifrage, den unermüd-
lichen Sucher, der aus allem etwas lernen wollte.

Es genügte ihm nicht, den Tag über bei Cou-
ture zu arbeiten, abends besuchte er die Akademie
des alten Suisse, und Sonntags flüchtete er aufs
Land in die Gegend von Fontainebleau, wo sich
verschiedene Malerkolonien niedergelassen hatten.
Wenn ihn auch die Arbeiten der Gäste von Mar-
lotte und Barbizon ziemlich kühl Hessen, so beur-
teilte er sie doch weniger streng als die Kunst seines
Lehrers Couture. Als diesem einmal Manets Ge-
sinnung hinterbracht wurde, sagte er ihm ziemlich
grob, dass, wenn man mit seinem Lehrer unzufrieden
sei, es wohl das Einfachste wäre, einen anderen zu
nehmen. Als Manets Vater, davon hörte, machte
er seinem Sohn bittere Vorwürfe. Er gehörte einer
alten, gutbürgerlichen Familie an, deren Kultur sich
in dem Kontakt mit dem Pariser Leben verfeinert
hatte. Eine wohltuende Harmonie herrschte in
seinem bescheidenen Heim der Rue Mont-Tabor.
Das Mobiliar und die Kleidung des Mannes ver-
rieten jene Neigung zum Einfachen und Massvollen,
die das Merkmal des französischen Geschmacks ist,
so dass die damals herrschende übertriebene Mode
der sogenannten griechisch-römischen Anpassungen
in ihm keinen Anhänger fand.

In Edouard Manet, der mit seinen beiden Brü-
dern, Gustav und Eugen, in diesem Milieu auf-
wuchs, kam die Geistesrichtung seiner Vorfahren
zum vollen Ausdruck. Franzose bis ins innerste



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