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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 2
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Proust, Antonin: Erinnerungen an Edouard Manet, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0093

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nichts Besonderes bemerkt hätte, lobte alle anderen
und trat dann vor Manets Bild mit den Worten:
„Sie wollen sich also niemals dazu entschliessen,
das zu malen, was Sie sehen?"

Manet, der sich durch den Beifall seiner Kame-
raden stark fühlte, erwiderte: „Ich male, was ich
sehe, und nicht wie es anderen passt zu sehen, ich
mache das, was ist, und nicht das, was nicht ist".

„Gut denn, mein Lieber, wenn Sie sich ein-
bilden, Chef einer Schule zu sein, so gründen Sie
meinetwegen eine, aber bitte nicht hier."

Manet ging fort und kam einen ganzen Monat
lang nicht wieder.

Sein Vater machte Couture einen Besuch, fand
ihn anfangs sehr aufgebracht gegen seinen Sohn,
und nur allmählich gelang es ihm, ihn zu be-
ruhigen.

Um den Wiedereintritt Manets zu feiern, lud
man ihn am Abend zu einer Punschbowle im
Restaurant Pigalle ein. Dieses Restaurant genoss
eine gewisse Berühmtheit im Quartier; es hatte
eine grosse Laufkundschaft, das Frühstück kostete
zwanzig, das Mittagbrot vierzig Sous.

Der alte Goupil, der Begründer des Hauses
Goupil, erschien regelmässig des Sonnabends um
8 Uhr, nachdem er tagsüber die Ateliers besucht
hatte und sagte mit ruhiger Würde zum Kellner,
der ihm das Diner servieren wollte: „Kellner,
bringen Sie mir ein Frühstück."

So gründet man die grossen Häuser.

Würde ich sagen, dass wir sehr zahlreich bei
Manets Punsch waren, so nähme ich es mit der
Wahrheit nicht genau. Zu allen Zeiten geht die
grosse Masse mit der Macht. Hier war Couture
die Macht, und man durfte nicht den Meister ver-
letzen. Immerhin schlössen sich aus freien Stücken
einige, unter ihnen der Bildhauer Pollet, den we-
nigen Kameraden an, die Manet feierten. Es war
ein lustiger Abend.

„Ich habe, weiss Gott, kein Glück", sagte
Manet. „Nach dem Zwischenfall im Atelier vor
vier Wochen hatte ich nun auch einen Auftritt in
meiner Familie. Mein Vater pflegt einmal wöchent-
lich einige Kollegen vom Gericht bei sich zu emp-
fangen. An einem solchen Abend, es war am Tage
nach meinem Wortwechsel mit Couture, spricht
mich einer seiner Freunde ganz plötzlich an und
fragt in spöttischem Ton: ,Ich höre Sie sind Maler,
haben Sie denn Talent?' Das Blut steigt mir zu
Kopf, und ich antworte: ,Und wie stehts mit Ihnen,
haben Sie Talent?' Ich konnte mich nicht lange

meines Sieges freuen, denn mein Vater schickte
mich schleunigst auf mein Zimmer. Bald kam
er mir nach und sagte strengen Tones: ,Du solltest
wissen, dass man, um Künstler zu sein,Talent haben
muss, dass mithin die Frage, die man an Dich stellte,
natürlich, dass aber Deine Antwort ungehörig war,
weil man nicht Talent zu haben braucht, um Be-
amter zu sein.' ,Aber, lieber Vater', antwortete
ich, ,Beamte könnten doch wenigstens Geist
haben.' Da musste mein Vater lachen, ob er wollte
oder nicht. Ja, seht Ihr, der Kapitän des Schiffes
La Guadeloupe, auf dem ich meine Seereise machte,
hätte mich nicht nach meinen Talent gefragt! In
Rollin war ich so faul, dass mich mein Vater als
Schiffsjunge dem Kapitän Besson mitgab, der nach
Rio de Janeiro fuhr. Da er mich während der
Fahrt hatte malen sehen, sagte er zu mir, als wir
Rio in Sicht bekamen: ,Da Sie malen können,
junger Mann, so werden Sie mir diese holländischen
Käse frisch anstreichen, die durch die Überfahrt
verblichen sind. Hier ist ein Topf Mennige und ein
Pinsel.' Ich that meine Pflicht. Als wir in den
Hafen einliefen, glänzten die Käse wie Tomaten.
Die Einwohner, hauptsächlich die Neger, kauften
sie mit Begeisterung, verschlangen sie mit der
Rinde und bedauerten nur, dass nicht mehr zu
haben war.

Einige Tage später veröffentlichten die Be-
hörden ein Gutachten, um die durch einige Fälle
von Cholerine beängstigten Gemüter der Ein-
wohnerschaft zu beruhigen. Das Gutachten führte
diese Fälle auf den übermässigen Genuss von noch
nicht ganz reifen Früchten zurück. Ich wusste
besser, was ich davon zu halten hatte. Aber im
Geschäftsleben ist Diskretion die Garantie des
Weiterkommens. So schwieg ich denn und that
wohl daran, denn der Kapitän behandelte mich von
diesem Augenblick an mit ganz ungewöhnlicher
Rücksicht. Der hätte mich wahrhaftig nicht ge-
fragt, ob ich Talent habe; der war davon durch-
drungen."

Bei Manet spielte das Auge eine solche Rolle,
dass die Strassen von Paris wohl niemals einen so
eifrigen Bummler beherbergt hatten als ihn und
gewiss keinen, der mit solchem Nutzen zu bum-
meln verstand.

Sowie der Winter hereinbrach und der Nebel
vom frühen Morgen an das Licht wie weisse Watte
erscheinen Hess, so dass es unmöglich war im
Atelier zu malen, machten wir uns aus dem Staube,
und liefen auf die äusseren Boulevards, während



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