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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 3
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Israëls, Jozef: Am Strande von Scheveningen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0145

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So ist man ruhig in seinem Zelt gesessen, vor einem sich fortbewegenden, leben-
den Kinematographen, der, von herrlicher Sommersonne beschienen, euer dolce far
niente in eine fruchtbringende Studienstunde verwandelt.

Doch es ist nicht bloss an einem warmen, milden und stillen Sommertag anregend
in Scheveningen; nein, ich bin fast geneigt, zu sagen, dass das Schauspiel, welches
Scheveningen bietet, bei Wind und Sturm noch mehr ergreift: wenn die Wolken sich
gegeneinander aufrichten, der Wind heult und giert, die Wogen spritzen und stäuben
und der Sand im Aufruhr den Strand hin jagt. Dies Naturschauspiel der zornigen
Elemente in sich aufzunehmen, giebt noch ein anderes und höheres Gefühl, als heim-
lich an einem brennheissen Tag im Zelte zu träumen.

Ich begegnete öfters auf meinen Morgengängen, einem Wiener Architekten. Er
nahm an jedem frühen Tag sein Bad und trabte dann längs des Strandes, bis es Früh-
stückszeit war. Eines Morgens hielt ich ihn an und fragte ihn, ob er es nicht herrlich
fände, in unserm Ländchen einen so prächtigen Sommer zu verbringen, jeden Tag
schönes Wetter, vom Morgen bis zum Abend. Er blickte mich unwirsch an und,
indem er seine breite Unterlippe vorschob, sagte er: „Mein lieber Freund, denken Sie
nun wirklich, dass ich deshalb nach Holland gekommen bin? Da irren Sie sich gänzlich.
,Die liebe Sonne' haben wir in Wien mehr als genug, ich warte nun Tag und Tage,
um endlich zu spüren, dass ich mich hier am Busen des Nordmeeres niedergelassen
habe und nicht etwa am Corner See oder Lago Maggiore. Wo bleiben eure Stürme
aus Südwest, die grauen Himmel, die hohen krachenden Wogen, die um mich her stäuben
und mit grossen Fetzen gegen den Rücken schlagen? Nun hab ich jeden Morgen ein
lieblich blaues Gewimmel von Wellchen und es kommt mir beinah vor, als ob ich bei
uns an der ,blauen Donau' stehe."

Ich musste über sein Gejammer laut auflachen. „Das ist wohl der Sehnsuchts-
seufzer", sagte ich, „von einem, der aus dem Süden kommt; aber wir, Kinder des neb-
ligen und kalten Nordens, sind himmelfroh über einen Sommer wie diesen.

Doch", sagte ich zu meinem Freund, „wenn Sie Lust haben, bis November zu
bleiben, können Sie noch genug nach Ihrem Sinn erleben.

Sehn Sie die Pinke, die jetzt da so lecker in der Sonne liegt und flackert. Wenn
Sie's im Herbst einmal gut treffen, dann ist der Rumpf eines solchen aufgezogenen
Fahrzeuges die einzige Stütze, an der Sie sich auf den Füssen halten können, um von
da den ganzen Horizont zu überschauen und der Kraft von Regen und Winden zu
trotzen, — vorausgesetzt, dass Sie Ihre Mütze stramm über die Ohren gezogen haben
und Ihr Wams von oben bis unten festgeknöpft. Alles wühlt und braust dann um
Sie her, die Füsse stehn in dem stets wieder ausströmenden Wasser, während fliegende
Regenböen den heulenden Wind begleiten.

Kommt ihr nach Haus, dann hängt ihr die tropfenden Kleider ans Feuer, zieht
warme Pantoffeln und den Hausrock an und guckt befriedigt nochmals hinaus, wo der
Feind, den ihr nicht habt unterkriegen können, noch immer daran ist, gegen eure
Fenster und Türen zu pauken. Es giebt Menschen, die in solchen Sturmnächten nicht
schlafen können; aber ist man nur daran gewöhnt, dann ist es wie Schlafgesang, der
leise einschläfert. Zuweilen schüttelt euch dann ein gewaltiger Stosswind wach und
ihr werdet von Wetterlicht geblendet, dem knatternde Hagelschauer folgen. Da
kommt man wohl ein wenig vors Fenster, erspäht den Zustand von Himmel und Wind,
um dann sputig wieder in die Wolle zu tauchen und den Schlaf weiter zu gemessen,
der so unsanft gestört wurde.

Solche Tage und Nächte in Scheveningen, — sind sie nicht etwa noch erhabener
und ergreifender als die sanften Sommertage? Zu solchen Stunden ist der Mensch ein
Held, und erstarkt gehen Körper und Geist aus diesem Streit hervor."

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