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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Notizen über die deutsche Zeichenkunst: 25. Ausstellung der Berliner Sezession von Karl Scheffler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0199

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Strich der eiligen Erregung, die
charakteristische Handschrift. Man
vergleiche in dieser schönen Herbst-
ausstellung der Sezession, wie Menzel
zeichnete und wie Liebermann zeich-
nend schreibt. Menzel ist halb noch
einer aus der vorigen Generation
und halb schon ein Moderner. Er
konstatiert und glossiert zur glei-
chen Zeit. Liebermanns Zeichnung
aber ist schon reine Naturglosse.
Die beiden sind ein wenig wie Vater
und Sohn. Wo Menzel am besten,
am freiesten ist, macht er sich vom
akademischen Naturalismus frei und
gerät in ein geistreiches Kritzeln,
das ein Systematikerimpressionistisch
nennen könnte.

Im epigrammatisch kurzen Glos-
sieren zeigen die modernen Zeich-
ner deutlich ihre Temperamente, ihre
Eigenart und ihr Gefühlsleben. Sie
alle sind sich ähnlich von Seiten einer
sanguinisch stürmenden Skepsis, von
seiten eines produktiv machenden
Zweifels, von Seiten des Stils der
Zeit; zugleich zeigt sich aber eben
in der Temperamentsäusserung auch
ihre Verschiedenheit mit aller Deut-
lichkeit. Sie sind sich darin einig,
dass sie alle die Idee an sich und den
idealistischen Stoff vermeiden, dass
sie mit Vorliebe soziale Tiefen auf-
suchen, dass sie am liebsten dem
Wie die Geistesstimmungen dieser drei Ge- Neutralen Züge ewiger Gültigkeit abzuringen suchen







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LOVIS CORINTH, DIE REKONVALESZENTIN. ZEICHNUNG

und dass sie sich mehr an das Dunkel des Lebens
halten als an himmlische Helle; sie unterscheiden
sich aber sehr stark der Art nach, wie sie die Le-
bensstoffe dann glossieren. Die Künstler sind ein-
ander verwandt wie von Seiten der Rasse und ver-
schieden wie Individuen. Sie alle halten der Natur
einen Spiegel vor und spiegeln sich doch zugleich

schlechter in der deutschen Zeichenkunst deutlich
unterschieden werden, so sieht man mit einem
Blicke auch drei verschiedene Techniken vor sich.
Künstlerischer Geist und künstlerische Technik
durchdringen sich ja stets bis zur Identität. Die
Zeichenkunst der Nazarener war ausführlich, ein-
gehend und ornamental verschönernd; das Zeich-
nen der Alltagsrealisten war genau, geschwätzig auch selbst im Spiegel der Natur ab
und prosaisch gewissenhaft; die Griffelkunst der <&

Neueren ist kurz, knapp, im Flüchtigen erschöp- Liebermanns Naturglossen werden zu Formu-

fend, pointierend und charakterisierend. Zuerst lierungen des Kosmischen. Er notiert die Bcwe-
herrschte der schöne, der kalligraphische Strich, gung in der Natur, das was sich kosmisch um uns
sodann kam der akademisch routinierte, der un- her und in sich selbst regt. Er enthüllt sich in
persönliche Strich auf, und jetzt herrscht der rück- seinen Zeichnungen, Radierungenund Lithographien
sichtslose Strich, voll geistreicher Roheit, der als ein Künstler, dem das die Vision erzeugende

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