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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 4
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Proust, Antonin: Erinnerungen an Edouard Manet, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0223

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seiner Familie nach Oloron in den Pyrenäen be-
geben, doch vor der letzten Schlacht des Monats
Mai kam er auf der Reise nach Paris durch Ver-
sailles, und unter dem furchtbaren Eindruck, den
die Unterdrückung des Aufstandes durch die in Paris
einziehenden Truppen machte, der wir beide teil-
weise als Augenzeugen beiwohnten, entstand seine
„Der Bürgerkrieg'' benannte Lithographie.

Nach den Juliwahlen von i 8 7 i, bei denen man
Gambetta in die Nationalversammlung berufen
hatte, fuhr Manet oft nach Versailles, wir pflegten
uns am Bahnhof Saint-Lazare zu treffen. Damals
stellte er mir Forain vor. Auf der Fahrt studierte
er die Physiognomie Gambettas, und während der
Sitzungen machte er auf einen Notizblock flüch-
tige Haltungs- und Bewegungsstudien, da es sein
lebhafter Wunsch war, Gambetta auf der Redner-
tribüne zu porträtieren. Leider konnte ihm Gam-
betta die dazu notwendigen Sitzungen nicht geben,
so dass Manet auf seinen Plan verzichten musste.
Soviel ich weiss, kam Gambetta zwei- oder dreimal
in Manets Atelier in der Rue de Petersbourg und
sass ihm noch zweimal im Atelier der Rue d'Amster-
dam. Der Entwurf zum Porträt wurde gut, aber
jedesmal zerriss Manet den grossen Bogen Papier,
den er auf der Leinewand befestigt hatte, weil, wie
er ärgerlich sagte, es noch nicht das Richtige wäre
und er einen ordentlichen Arbeitstag dazu brauchte.
Diesen vollen Tag konnte ihm Gambetta zu seinem
Leidwesen nicht geben und, ärgerlich bei aller Sym-
pathie, die Manet für ihn hatte, entfuhren ihm eines
Tages in einem Anfall schlechter Laune die Worte:
„Das ist auch einer, der für Bonnat reif ist."

„Na," fügte er hinzu, „Bürty und die Sorte ist
ja da, um ihn dahin zu treiben. Und doch macht
Gambetta eine Ausnahme. Er ist aufgeklärter als
seine Parteigenossen, denn es ist merkwürdig, wie
reaktionär die Republikaner in Kunstsachen sind.
Es ist ja so bequem, schon fertige Formeln an-
zuerkennen und sich vor dem zu beugen, was man
das Schönheitsideal nennt. Das Schönheitsideal,
das Schöne, das endgültig wäre, wenn alles sich
verändert. Man soll uns doch um Gottes willen
mit diesem abgedroschenen Zeug in Ruhe lassen.
Würde ich sagen, dass das Schönheitsideal sich ver-
ändert, so ist das nicht ganz richtig. Aber das
Schönheitsideal passt sich an. Was würde man
wohl von einem Maler sagen, welcher das Charak-
teristische eines Mannes wie Gambetta studierte,
und welcher, nachdem er alles erforscht hätte, was
seinem Mienenspiel eigentümlich ist, nun ins Louvre

ginge, um den Discobole zu kopieren, weil nur das
wahrhaft schön sei. Und gerade dies will man uns
anraten. Charles Blanc schwört auf dies Zeichen
und noch mancher andere. Wahr ist und bleibt,
dass wir nur die eine Pflicht haben, aus unserer
Epoche das herauszuziehen, was sie uns bietet, ohne
darum schlecht zu finden, was frühere Epochen ge-
leistet haben. Aber ein Gepansche, wie man es bei
den Weinhändlern nennt, zu machen, das ist wohl
das Dümmste. Ich hätte eben gern aus Gambetta
ein Bild gemacht, so wie es mir vorschwebt. Na,
denken wir nicht mehr daran."

Die Angriffe auf Manet wurden um so ärger,
als manwusste, dass er mit einem Manne auf gutem
Fuss stand, den die ihm Bestgesinnten den Diktator
und den seine wilden Gegner „den tollen Wüterich"
nannten.

Ein Malergemüt pflegt nicht sanftmütig zu sein,
und da Manets Antworten scharf wie eine Degen-
klinge waren, gab es so manche Wunde. Zu dieser
Zeit kam er in einen Ruf der Bösartigkeit, den er
nicht verdiente. Aber ich muss zugeben, dass er
so manches geistreiche und graziöse Wort fand als
Antwort auf grobe und geistlose Angriffe. Ich ver-
sage es mir, sie zu wiederholen, da mir nichts daran
liegt, diejenigen zu betrüben, deren Bestreben es
war, ihm durch ihre Worte recht wehe zu thun.
Aber ich lege ein besonderes Gewicht darauf, hier
auszusprechen, dass Manet ein durchaus guter
Mensch war, zu allem fähig, um seinen Kameraden
zu helfen. Ich hoffe für sie, dass sie die Dienste
eines Menschen nicht vergessen haben, der niemals
an die Undankbarkeit der Menschen geglaubt hat.

Wenn man ihn des Sonntags in seinem Atelier
in der Rue de Saint-Petersbourg besuchte, war er
unermüdlich darin, die Getreuen der Schule von
Battignoles herauszustreichen. Er stellte ihre Bilder
in das rechte Licht, versuchte Käufer für sie zu fin-
den und vergass darüber ganz seine eigenen Werke.
Wenn er auf solche Weise das Lob seiner Kame-
raden verkündete, machte er sich besonders leiden-
schaftlich zu Claude Monets Anwalt, den er in
einem Boot porträtiert hatte. Dieses Bild gehörte
zu seinen Lieblingswerken, er nannte es „Monet
in seinem Atelier". Bei dieser Gelegenheit er-
zählte er, dass, wie mir scheint, am selben Tage,
Carolus Duran und er versucht hatten, sich gegen-
seitig zu porträtieren. „Bei diesem Duell", sagte er
lachend, „haben wir zwei Porträts ohne Resultat
gewechselt, aber es ist zu keinem Prozess gekom-

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