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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 4
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Proust, Antonin: Erinnerungen an Edouard Manet, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0225

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„Wer sind Sie nur, gnädige Frau, dass Sie das loben,
was alle Welt tadelt:"

Und er weinte vor Freude. Als er sich wieder
gefasst hatte, sagte er auf seine offene, gewinnende
Art: „Sehen Sie, das hier ist die wahre, ehrliche
Wahrheit. Man fühlt, wie die Luft diese Frau und
dieses Kind umweht. Aber ich werde Ihnen noch
etwas zeigen." Und er holte ein Porträt des Advo-
katen Jouy hervor, das er vor dem endgültigen des
Jahres 1879 gemalt hatte. „Man hört ordentlich
seine grosse Schnauze, nicht wahr? Verzeihen Sie,
bitte, den Ausdruck. Aber ein Advokat muss eine
grosse Schnauze haben. Das gehört zu seinem
Handwerk, wie es das unsere ist, es gut wiederzu-
geben. Ja, es ist ungemein schwer, ein Bild inter-
essant zu machen mit so einem einzelnen Kerl dar-
auf. Es kommt nicht nur darauf an, das Porträt zu
malen, auch der Hintergrund muss sich ihm durch-
sichtig und lebendig anschmiegen, denn auch der
Hintergrund muss leben. Ist er undurchsichtig und
tot, so taugt das Ganze nichts.

Am meisten bringen mich die Museen zur Ver-
zweiflung. Ein grosse Traurigkeit überfällt mich,
wenn ich eintrete und feststelle, wie elend es um
die Malerei steht. Und die Besucher, die Auf-
seher, was da alles herumwimmelt! Die Porträts
haben kein Leben. Und doch finden sich unter
diesen Porträts (mit seinem Zungenschnalzen) die
Velasquez, Goyas, Hals und von uns die Largillieres
und Nattiers, denn damit lässt sich nicht spassen.,
sie konnten was, diese Kerle! Zuviel Arrangement,
aber dabei verloren sie nie die Natur aus den
Augen. Und die Clouets! Wenn man denkt, dass
man Rosso und den Primatice höher als Clouet
stellte! Mein Traum wäre gewesen, Frauen wie
Sie mitten ins Grüne, in die Blumen, an den Strand
zu setzen, überall dahin, wo die Luft die Umrisse
verschluckt, und wo alles sich in den Herrlichkeiten
des Lichtes auflöst und vermischt, denn, glauben Sie
mir, ich bin kein Narr, der nicht weiss, was er will!"

Die ganze Woche nach diesem Besuch war
Manet in einem Taumel des Entzückens.

Er sprach von nichts anderem. Man habe un-
sere Zeit verleumdet. Es gäbe doch Frauen, die
fühlen, sehen und verstehen.

Während eines Frühstücks, das Manet, Henry
d'Ideville und ich bei Tortoni einnahmen, war von
nichts anderem die Rede, als von der guten Idee,
die Alphonse Hirsch gehabt hatte, in das Atelier
der Rue de Saint-Petersbourg einen so wenig all-
täglichen Menschen wie Madame Mery Laurent
einzuführen. „Kann man wohl etwas Dümmeres
sagen, als dass ich versuche, Knalleffekte hervorzu-
bringen? Habe ich etwa jemals den Gedanken ge-
habt, den Herzog von Guise zu ermorden? Oder
Napoleon auferstehen zu lassen?

Ich gebe so einfach wie möglich die Dinge
wieder, die ich sehe. Zum Beispiel, die „Olympia",
giebt es wohl etwas Naiveres? Es sind Härten
drin, wirft man mir vor. Na ja, sie waren eben
drin, ich habe sie gesehen. Und ich habe das ge-
macht, was ich gesehen habe. Und die Frauen auf
der Mole von Boulogne! Einer soll mir mal erst
ein Werk nennen, das so ehrlich, so frei von jeder
Konvention, so dem lebendigen Leben entrissen ist!

Was wäre wohl leichter gewesen, als in diese
beiden Bilder die sogenannte Anmut hineinzulegen,
die Herrn Wolff so sehr am Herzen liegt! Man
reisst sich, wie um die Splitter des heiligen Kreuzes,
um alles, was den Beifall dieses Kritikers hat. In
zehn Jahren wird man nicht zwei Sous dafür
geben.

Wenn ich statt Jeanne Lorgnon, die ihre Klei-
dungsstücke reinigt, die Kaiserin Josephine gemalt
hätte, wie sie ihre schmutzige Wäsche wäscht,
Kinder, was wäre das für eine Erfolg gewesen!
Wo hätte es genug Radierer und Stecher gegeben,
um solch Meisterwerk zu vervielfältigen, genug
Kritiker, um es in den Himmel zu heben!

Ja aber, was soll ich machen, ich habe eben
die Kaiserin Josephine nicht gekannt; Meissonnier,
ja, der hat sie gekannt, der hat auch Napoleon I.
gekannt."

Fortsetzung folgt

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