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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 10
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Widmer, Johannes: Ferdinand Hodlers Wandgemälde für das Rathaus in Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.4713#0538

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Marignanos Helden sind wieder auferstanden. Ich
versage es mir, dem Einzelnen nachzugehen. Wohl
aber darf auf die trotz aller muskulären Wucht
feinfühlig verteilten Kräfteverhältnisse hingewiesen
werden, auf die Verteilung der Seiten und der Rück-
ansichten, der Grade der Beteiligung. Prachtvoll
ist namentlich die straffe Rundung der Enden ge-
funden.

Während der Künstler an den einzelnen Ge-
stalten herumarbeitete, tausend Zeichnungen her-
stellte, farbige Studien machte, Leiter auf und ab
sie auf das Liniennetz der Riesenleinwand übertrug,
wurde allmählich die Form in den zweiten Rang
gedrängt. Auf den frühen Ölskizzen herrschte ein
geordnetes Bunt. Lustige Rot, Gelb, Braun, Grün
herrschten vor, und gaben im Einklang mit der
loseren Aufstellung ein mittelalterlich entfesseltes
Gemälde. Allmählich wich die Buntheit einem
braunroten Gesamtton, der zuletzt einer beinah
düsteren aufflackernden Flammenbasis gleichsah.
So fing auch die Übertragung auf den endgültigen
Malgrund an. Bis hierher stand Hodler gleichsam
im Bann von Marignano. Aber eines Tages strahlte
die ganze Fläche in getra-
genem, feierlichem Alt-
gold. Nur der Redner be-
hielt sein weinrotes Ge-
wand. Dann leuchtete als
wunderthätige Folie zwi-
schen und hinter all den
goldenen Standbildern ein
breites reiches tiefes Blau
auf. Es griff um sich. Und
zuletzt wurde es so, dass
die Mittelgruppe vor-
nehmlich auf Braun-Rot-
Schwarz gestimmt war,
während die Flügel jauch-
zende Farbenstrahlen sind,
Blau gegen Goldgelb na-
mentlich, da und dort mit
Grün, Rot, und ab und zu
mit Lila, Violett, Schwarz

untermischt. Alles in durch und durch modellieren-
dem Auftrag, wie denn Hodler, von den Grund-
zügen des Werkes abgesehen, im Fresko (dies Wort
natürlich frei verstanden!) das Graphische noch nie
so bewältigt hat. Aufs feinste sind alle motorischen
Wirkungen des Farbenfestes ausgeprobt. Dies und
die Ausgestaltung der Gesichter und der Hände war
die meistenteils frohe Mühe der letzten Monate und
Wochen. Frohe Mühe: denn noch nie hat Hodler
sich so in seinem eigensten Gebiet gefühlt. Als der
altgoldene, an „Jena" erinnernde Zustand überwun-
den war und das herrliche, nach Ort und Stärke
wohlgeregelte Farbenkonzert erklang, da rieselte
eine wahre Verklärung über das mannhafte Ge-
sicht. Und wohlgemut versetzte sich Hodler, vor-
greifend, in die Stimmung der Hannoverschen Stadt-
väter, wenn sie von endlosen Verhandlungen und
Akten aufsehen und sich an Saft und Macht des
über ihnen hinströmenden zu ergreifender Wirkung
gerafften Prachtbandes erlaben werden . . .

Mit diesem Werke hat Hodler eine neue Höhe
seines Schaffens erstiegen. Vielleicht mag die Ein-
fachheit viele zuerst an der Erkenntnis des darin

ruhenden Sieges über viel-
redende Mannigfaltigkeit
verhindern. Andere wer-
den die brausende Orgel
dieses Farbenjubels kaum
zu ertragen meinen. Wie-
der andere werden die
überlegene Verallgemeine-
rung des geschichtlich Be-
sonderen tadeln. Recht
haben und denken wohl
die, die auf Grund einer
solchenThat den kommen-
den Plänen des Meisters
mit jenem köstlichen
Mischgefühl von Sehn-
suchtundZuversicht,neben
einem forschenden Ein-
dringen in das schon Ge-
thane, entgegensehen.

FERD. HODLER, MITTELFIGUR DES WANDGEMÄLDES FÜR DAS
RATHAUS IN HANNOVER. STUDIENZEICHNUNG
 
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