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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 11.1913

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Heft 12
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Nicht mir der Renaissance muss man Giotto zusammen-
stellen, sondern mir der griechischen Kunst.

*
Die Bildniskunsr der Griechen und Römer.

(31 1 Tafeln mit 518 Abbildungen, herausgegeben von
Anton Hekler, Verlag von Julius Hofmann in Stuttgart.)

Die antike Kunst ist im allgemeinen Interesse der
modernen Kulturnationen lange Zeit zurückgetreten
gewesen; seit einiger Zeit aber beginnt sie nicht mehr
die Gelehrten allein zu beschäftigen, sondern wieder in
das allgemeine Bewusstsein zurückzukommen; Zeugnis
unter anderem ist das vorliegende prächtige Werk,
welches die vorzüglichsten Überbleibsel der antiken
Portratkunst einem grossen Publikum in ausgezeichneten
Reproduktionen vorführen will.

Vielleicht wird man bald den einmal doch notwen-
digen Schnitt machen, und die griechische, hellenistische
und römische Kunst definitiv voneinander ttennen, viel-
leicht ist der Grund der wiedererwachten Interessen,
dass wir heute diese drei ganz verschiedenartigen Kunst-
perioden auseinanderhalten und dass deshalb jeder das
ihm Angemessenen selber aufnehmen kann. Denn eigent-
lich muss man sich doch sagen, dass die Kritiklosigkeit,
mit welcher man von der Renaissance bis zu unseren
deutschen Klassikern alle zusammenwarf was antik war,
uns heute nicht mehr verständlich ist; wer griechische
Kunst liebt, den mögen etwa die heute plötzlich so be-
rühmt gewordenen Figuren in Naumburg und Bamberg
oder die Bilder Giottos einen tiefen Eindruck machen;
wer römische Kunst schätzt, der mag sich des Tüchtigsten
der italienischen Renaissance erfreuen; aber zwischen
griechischer und römischer Kunst liegt doch eigentlich
eine ganze Welt.

Das vorliegende Werk zeigt das sehr deutlich da-
durch, dass alle Porträtkunst doch immer viel Gemein-
sames haben muss, so dass man in ihr, durch Vergleichen,
den verschiedenen Kunstwillen — und der Kunstwille ist
der Ausschlaggebende — am deutlichsten erkennen kann.

Man macht gewöhnlich den Unterschied von typisch
und individuell, aber mit diesem Unterschied ist bei
guter Kunst nicht viel anzufangen, denn gute Kunst
muss doch immer typisch individuell zugleich sein. Man
käme weiter, wenn man den Unterschied machte von
notwendig und zufällig. Die Tendenz der griechischen
Kunst geht immer darauf aus, die, möge das missver-
ständliche Wort gestattet sein, Idee der Erscheinung zu
geben, die römische Kunst sucht die Erscheinung selber
darzustellen. Wenn die eine erreicht, was sie will, so
erhebt und erschüttert sie; erreicht die andere ihr Ziel,
so ist sie interessant.

Wir denken bei der griechischen Kunst ja gewöhn-
lich an die grossen Typen, die sie geschaffen hat: ein
solcher Kunstwille, der auf das Notwendige der Er-
scheinung ging, der aus einem ernsten Gemüt kam,
welches erhebenunderschüttern wollte, musste jatypen-
bildend wirken; man denkt vielleicht daran, dass der
ägyptischen Kunst das Unglück geschah, dass sie zu früh
Typen schuf, ehe sie die Formen beherrschte; hätte in
Ägypten nicht die konservativ an ihnen haltende Priester-
kaste geherrscht, und wäre eine geistige Freiheit ge-
wesen wie in Griechenland, so hätte man in der Zeit
wo man den „Schreiber" und den „Dorfschulzen"
schnitzte, auch grosse Göttergestalten meisseln können.
An den Porträts, welche die vorliegende Sammlung ab-
bildet, kann man sehen, wie der seelische Prozess in
Griechenland war : man sucht die Wirklichkeit aus ihrer
Organisation, nicht nach ihrem Eindruck zu erkennen
und schafft eine höhere Natur, indem man das organisch
Wirkliche darstellt. So wird jedes Porträt ein Ideal-
porträt; nicht, indem man das Modell nach irgendeiner
Richtung idealisiert, sondern indem man nur kon-
sequenter und grösser denkend ist wie die Natur. So
schafft man dann Porträts von Männern, deren Züge
nicht überliefert sind: man wusste, so mussten sie aus-
gesehen haben; und so konnte man denn zuletzt Götter
schaffen.

k

ELFTER JAHRGANG. ZWÖLFTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 13. AUGUST. AUSGABE AM I. SEPTEMBER NEUNZEHNHUNDERTDREIZEHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN

VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG
 
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