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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 21.1923

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Heft 3
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Bartning, Otto: Religion und Kirchbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4655#0095

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des Sakralen darin einzuschlie-
ßen. Es ist zwar selbstverständ-
lich und sei ausdrücklich be-
tont, daß der praktische Zweck
eines Gebäudes der sichere Bo-
den ist und bleibt, auf dem ein
Werk der Baukunst sich auf-
richtet. Die praktischen Er-
fordernisse des Kirchengebäu-
des werden uns daher weiter-
hin auch immer wieder be-
schäftigen. Aber sie allein ge-
nügen nicht, um die besondere
Aufgabe des Sakralbaus daraus
herzuleiten und um diese Auf-
gabe für uns lebendig neu zu
stellen.

Andererseits kann man jeg-
liches wahrhaft raumgestaltende
Bauwerk als endliche Form
eines Teiles des unendlichen
Raumes betrachten, als Ausein-
andersetzung des Menschen mit
dem Weltall, sei es aus Furcht
vor dem Endlosen, Ungestalte-
ten, sei es aus Hingabe an das
Unendliche, Tausendfältige. Es erklärt sich daraus
der zwar stets von Notdurft und Zweck ausgehende,
stets aber über Notdurft und Zweck hinausgehende
Urtrieb alles Formens und Bauens und muß in
diesem Sinne ein religiöser Trieb genannt werden.
Und wirklich lebt heute in manchem Ingenieur-
bau mehr dieser Religiosität als in vielen Kirch-
bauten. Dennoch erscheint dieser Begriff zu weit
und zu allgemein, um die Aufgabe des kirchlichen
Sakralbaus greifbar zu machen.

Jener Begriff des Zweckes ist zu eng, dieser
Begriff des religiösen Urtriebes zu allgemein. Die
Verbindung beider ist erforderlich: erst wenn der
Urtrieb des Bauens in den kultischen Zwecken
der Religion voll aufgeht, dann ist Kirchbau Sa-
kralbau, heiliger Bau.

Wann aber kann der Urtrieb des Bauens in
den kultischen Zwecken der Religion voll auf-
gehen und kann sie in heiligem Bauen gestalten?
Dann, wenn die kultischen Zwecke selbst räum-
lich bedingt, wenn die Religion selbst raum-
haft ist.

Dieser Begriff der raumhaften Religion, den

bis Atcvsttfi rcljc von Otto Sartnlttg

ier ürri)tt<rtW -

ich an anderer Stelle* ausführlich dargelegt'habe,
ist entscheidend für die Erkenntnis der Wesens-
gemeinschaft von Religion und Bauen und damit
für den Sakralbau. Eine Religion ist raumhaft,
wenn ihr Kult räumlich gebunden ist, z.B. dadurch,
daß der zu verehrende Geist die Kultstätte dauernd
bewohnt, mit Vorliebe aufsucht oder von ihr aus
am leichtesten zugänglich ist, oder aber dadurch,
daß er sich durch Symbole oder Pfänder an den
Ort gebunden fühlt (so durch Abbilder im sym-
bolischen Bilderdienst oder durch Reliquien im
Toten- und Märtyrerkult), oder endlich dadurch,
daß er körperlich real (so im Fetisch), oder geistig
real (so in der Hostie) an den Ort schlichthin
gebunden ist.

Die räumliche Umzirkung, Überdachung und
Gestaltung des also heiligen Ortes ist nun nicht
nur praktische Notwendigkeit, sondern sie ist
höchste religiöse Pflicht, Bauen ist nunmehr ein
Akt der Verehrung, der Anbetung, der Hingabe,
ein Akt der Religion selbst, kurz heiliges Bauen.

* Bartning, Vom neuen Kirchbau. Bruno Cassirer Ver-
lag, 1919. S. 25—34.

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