NEUE BUCHER
Olympische Kunst. Auswahl nach Aufnahmen des
kunstgeschichtlichen Seminars, mit einer Einleitung von
Richard Hamann. Verlag des kunstgeschichtlichen Seminars
in Marburg a. L. 1923.
R. Hamann hat auf einer von dem Marburger Archäo-
logen P. Jacobsthal angeregten und vorbereiteten Reise nach
Griechenland die Skulpturen von Olympia auf mehreren
hundert Platten Photographien; sechzig davon werden in
diesem Hefte zu mäßigem Preise zugänglich gemacht.
Es war ein guter Gedanke, Hamanns ungewöhnliche, an
deutschem und französischem Mittelalter geschulte Fähigkeit
im Sehen und Festhalten plastischer Formen auf die Antike
zu lenken; denn noch sind vollkommene Aufnahmen
griechischer Skulpturen Seltenheit.
Wer nur die Heliogravüren des großen Olympiawerkes
kannte, wird überrascht sein. Nicht nur von Einzelheiten,
die kaum dem Kenner der Originale zu Bewußtsein ge-
kommen waren (der herrliche Pferdekopf Tafel 24, beileibe
kein „tüchtiges aber gewöhnliches Arbeitspferd", sondern in
seinen überschlanken Formen den Reitern aus dem Perser-
schutt noch näher als dem berühmten „Urpferd" vom
Parthenon; die Gewand-Details Tafel 27 und 48; die drei
Athenaköpfe von den Metopen mit ihrer erstaunlichen
Differenzierung des Ausdrucks); auch vermeintlich längst
bekannte Dinge erscheinen neu: der Kopf des Apollon aus
dem Ostgiebel, den die Zeit der Entdecker ausdruckslos
nennen konnte, zeigt in der Aufnahme stark von unten den
unnahbar hochmütigen Stolz, den die herrische Geste des
Armes fordert.
Diese Photographien könnten, wenn sie im ganzen Um-
fange zugänglich werden, in der Einschätzung der Olympia-
skulpturen Epoche machen, wie vor fast zwanzig Jahren
Furtwänglers Neuanordnung der Giebel für die Ägineten.
Den Weg hat bereits F. Hauser gezeigt, als er Olympia
zur Malerei des polygnotischen Kreises in engste Beziehung
brachte. Neuerdings ging E. Buschor mit einer kühnen
Umdeutung des Ostgiebels — Heimkehr der Helden aus
Troja statt des überlieferten mythischen Wagenrennens —
noch weiter, wahischeinlich zu weit. Aber richtig ist sein
Gefühl, daß man hier dem Ethos der Tragödie ganz nahe
ist. Der Gedanke an eine irgendwie rückständige, provinzielle
Kunstart muß angesichts der neuen Aufnahmen fallen.
Gerade wegen dieser großen kunstgeschichtlichen Wichtig-
keit bedauert man, daß die Autotypien der Auswahl nicht
auf der Höhe stehen („Deutsche Köpfe des Mittelalters" in
der gleichen Reihe sind viel besser gelungen); auch die
Anordnung ist nicht einwandfrei. Man hätte den Archäologen
zu Rate ziehen sollen: vielleicht wäre dann auch der Hermes
des Praxiteles weggeblieben, der mit der Nike des Paionios
zu unvermittelt und vereinzelt in dieser Umgebung steht —
ein Gegensatz, den der Titel des Heftes mit seinem falschen
Klange nicht verdeckt.
Hanns Holdt — Hugo von Hofmannsthal, Grie-
chenland. Baukunst, Landschaft, Volksleben. Berlin,
Wasmuth. (176 Tafeln in Tiefdruck)
Hofmannsthal hat dem Buche eine wortreiche und etwas
leere Einführung mitgegeben — mehr allgemeine Erinnerung
als nahe Wirklichkeit. Seltsamer Einfall, M. Barres (Voyage
de Sparte) mitsprechen zu lassen, den mißmutigsten und
widerstrebendsten Dichter, der Hellas bereist hat. Warum
konnte nicht ein Geograph vom Range Philippsons das
Vorwort schreiben? In seinem „Mittelmeergebiet" sind die
packendsten Schilderungen von Landschaften und Jahres-
zeiten Griechenlands; und er hätte wohl auch auf die
Beschriftung der Bilder heilsamen Einfluß genommen.
Aber diese Bilder sind wirklich schön. Es gab von der
Art nur die unerschwinglichen Aufnahmen des Genfer Photo-
graphen Boissonnas. Diese hier scheinen mir den Gefahren
der „Kunstphotographie" noch glücklicher zu entgehen.
Weniges ist in Ansicht oder Beleuchtung „gestellt" (der
Burgaufgang, Tafel 20, fast eine Reinhardt'sche Kulisse)
oder verfälscht (Hagia Sophia in Salonik Tafel 146 und 150:
der Eindruck des Raumes ist jetzt durch die schauderhafte
Herstellung verdorben).
Aus der Landschaft ist herausgeholt, was nur Griechen-
land eigen ist, billige Riviera-Effecte werden auch bei so
lieblichen Bildern wie denen vom Pelion verschmäht. Der
strenge Ernst (Attika), das Großartige und Heroische (Delphi,
Meteora) tritt richtig hervor. Das Meer freilich, das überall
in Griechenland mitspricht, kann kein Bild geben —
Ganz Neues bringen z. T. die Architekturaufnahmen. Da
ist zum ersten Male die unwahrscheinlich schlanke ionische
Säule in den Propyläen und ihr herrliches Kapitell, ist das
grandiose Stadion in Delphi vor den Felswänden der Phädri-
aden; ist auch vieles Byzantinische von zauberhaftem Reiz.
Aber die Mosaiken von Hagios Demetrios durften nicht
fehlen — es sind die bedeutendsten nicht nur auf griechischem
Boden, und man hätte dafür gern die etwas banalen Trachten-
bilder entbehrt.
Der eigentliche Wert eines solchen Buches liegt schließlich
darin, daß es wieder einmal, beredter als Worte, daran er-
innert, griechische Kunst nicht in Museen des Nordens oder
selbst Italiens, sondern in ihrer Heimat vorzustellen.
Herbert Koch.
Hans von der Gab elentz: Fra Bartolommeo und
die Florentiner Renaissance. In zwei Bänden. Leipzig.
Verlag von Karl W. Hiersemann, 1922.
Auch rückwärts gerichtete Kunstgeschichte bleibt ein
Kind ihrer Zeit. Unmerklich ihm selbst wandelt sich des
Historikers Standpunkt den Dingen der Vergangenheit gegen-
über, und wie er sich mit der eigenen Welt drehen muß,
so treten manche lange unsichtbar gebliebene oder be-
schattete Gestirne in seinen Konspekt. Eben hat die Flo-
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Olympische Kunst. Auswahl nach Aufnahmen des
kunstgeschichtlichen Seminars, mit einer Einleitung von
Richard Hamann. Verlag des kunstgeschichtlichen Seminars
in Marburg a. L. 1923.
R. Hamann hat auf einer von dem Marburger Archäo-
logen P. Jacobsthal angeregten und vorbereiteten Reise nach
Griechenland die Skulpturen von Olympia auf mehreren
hundert Platten Photographien; sechzig davon werden in
diesem Hefte zu mäßigem Preise zugänglich gemacht.
Es war ein guter Gedanke, Hamanns ungewöhnliche, an
deutschem und französischem Mittelalter geschulte Fähigkeit
im Sehen und Festhalten plastischer Formen auf die Antike
zu lenken; denn noch sind vollkommene Aufnahmen
griechischer Skulpturen Seltenheit.
Wer nur die Heliogravüren des großen Olympiawerkes
kannte, wird überrascht sein. Nicht nur von Einzelheiten,
die kaum dem Kenner der Originale zu Bewußtsein ge-
kommen waren (der herrliche Pferdekopf Tafel 24, beileibe
kein „tüchtiges aber gewöhnliches Arbeitspferd", sondern in
seinen überschlanken Formen den Reitern aus dem Perser-
schutt noch näher als dem berühmten „Urpferd" vom
Parthenon; die Gewand-Details Tafel 27 und 48; die drei
Athenaköpfe von den Metopen mit ihrer erstaunlichen
Differenzierung des Ausdrucks); auch vermeintlich längst
bekannte Dinge erscheinen neu: der Kopf des Apollon aus
dem Ostgiebel, den die Zeit der Entdecker ausdruckslos
nennen konnte, zeigt in der Aufnahme stark von unten den
unnahbar hochmütigen Stolz, den die herrische Geste des
Armes fordert.
Diese Photographien könnten, wenn sie im ganzen Um-
fange zugänglich werden, in der Einschätzung der Olympia-
skulpturen Epoche machen, wie vor fast zwanzig Jahren
Furtwänglers Neuanordnung der Giebel für die Ägineten.
Den Weg hat bereits F. Hauser gezeigt, als er Olympia
zur Malerei des polygnotischen Kreises in engste Beziehung
brachte. Neuerdings ging E. Buschor mit einer kühnen
Umdeutung des Ostgiebels — Heimkehr der Helden aus
Troja statt des überlieferten mythischen Wagenrennens —
noch weiter, wahischeinlich zu weit. Aber richtig ist sein
Gefühl, daß man hier dem Ethos der Tragödie ganz nahe
ist. Der Gedanke an eine irgendwie rückständige, provinzielle
Kunstart muß angesichts der neuen Aufnahmen fallen.
Gerade wegen dieser großen kunstgeschichtlichen Wichtig-
keit bedauert man, daß die Autotypien der Auswahl nicht
auf der Höhe stehen („Deutsche Köpfe des Mittelalters" in
der gleichen Reihe sind viel besser gelungen); auch die
Anordnung ist nicht einwandfrei. Man hätte den Archäologen
zu Rate ziehen sollen: vielleicht wäre dann auch der Hermes
des Praxiteles weggeblieben, der mit der Nike des Paionios
zu unvermittelt und vereinzelt in dieser Umgebung steht —
ein Gegensatz, den der Titel des Heftes mit seinem falschen
Klange nicht verdeckt.
Hanns Holdt — Hugo von Hofmannsthal, Grie-
chenland. Baukunst, Landschaft, Volksleben. Berlin,
Wasmuth. (176 Tafeln in Tiefdruck)
Hofmannsthal hat dem Buche eine wortreiche und etwas
leere Einführung mitgegeben — mehr allgemeine Erinnerung
als nahe Wirklichkeit. Seltsamer Einfall, M. Barres (Voyage
de Sparte) mitsprechen zu lassen, den mißmutigsten und
widerstrebendsten Dichter, der Hellas bereist hat. Warum
konnte nicht ein Geograph vom Range Philippsons das
Vorwort schreiben? In seinem „Mittelmeergebiet" sind die
packendsten Schilderungen von Landschaften und Jahres-
zeiten Griechenlands; und er hätte wohl auch auf die
Beschriftung der Bilder heilsamen Einfluß genommen.
Aber diese Bilder sind wirklich schön. Es gab von der
Art nur die unerschwinglichen Aufnahmen des Genfer Photo-
graphen Boissonnas. Diese hier scheinen mir den Gefahren
der „Kunstphotographie" noch glücklicher zu entgehen.
Weniges ist in Ansicht oder Beleuchtung „gestellt" (der
Burgaufgang, Tafel 20, fast eine Reinhardt'sche Kulisse)
oder verfälscht (Hagia Sophia in Salonik Tafel 146 und 150:
der Eindruck des Raumes ist jetzt durch die schauderhafte
Herstellung verdorben).
Aus der Landschaft ist herausgeholt, was nur Griechen-
land eigen ist, billige Riviera-Effecte werden auch bei so
lieblichen Bildern wie denen vom Pelion verschmäht. Der
strenge Ernst (Attika), das Großartige und Heroische (Delphi,
Meteora) tritt richtig hervor. Das Meer freilich, das überall
in Griechenland mitspricht, kann kein Bild geben —
Ganz Neues bringen z. T. die Architekturaufnahmen. Da
ist zum ersten Male die unwahrscheinlich schlanke ionische
Säule in den Propyläen und ihr herrliches Kapitell, ist das
grandiose Stadion in Delphi vor den Felswänden der Phädri-
aden; ist auch vieles Byzantinische von zauberhaftem Reiz.
Aber die Mosaiken von Hagios Demetrios durften nicht
fehlen — es sind die bedeutendsten nicht nur auf griechischem
Boden, und man hätte dafür gern die etwas banalen Trachten-
bilder entbehrt.
Der eigentliche Wert eines solchen Buches liegt schließlich
darin, daß es wieder einmal, beredter als Worte, daran er-
innert, griechische Kunst nicht in Museen des Nordens oder
selbst Italiens, sondern in ihrer Heimat vorzustellen.
Herbert Koch.
Hans von der Gab elentz: Fra Bartolommeo und
die Florentiner Renaissance. In zwei Bänden. Leipzig.
Verlag von Karl W. Hiersemann, 1922.
Auch rückwärts gerichtete Kunstgeschichte bleibt ein
Kind ihrer Zeit. Unmerklich ihm selbst wandelt sich des
Historikers Standpunkt den Dingen der Vergangenheit gegen-
über, und wie er sich mit der eigenen Welt drehen muß,
so treten manche lange unsichtbar gebliebene oder be-
schattete Gestirne in seinen Konspekt. Eben hat die Flo-
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