ANDRE DERAIN, DER JUNGE, 1922
MIT ERLAUBNIS DER GALERIE A. FLECHTHEIM. BERLIN
beitsweise sich leicht einstellende Kälte zu fürchten,
ohne den Gefahren auszuweichen, daß das, was
ins Klassische geraten soll, leicht klassizistisch wird,
daß von der reinen Form zum Formalismus nur
ein Schritt ist, daß alle heroisierende Absicht in
diesen Zeitläuften leicht zur Galvanisierung wird,
und daß der Wille zur purifizierten, zur primitiv
klaren Form wie von selbst' zum Manierismus
führt. Wie immer das Gefühl zur Kunst Derains
stehen möge: der Erkenntnis ist dieser Künstler
im hohen Maße interessant. Sieht man, wie er
ein Bild, eine Zeichnung baut, wie er die Massen
und Werte ausbalanziert, wie er die Rapports her-
stellt, wie er auf den Spuren alter Meister und
neuer Vorbilder um eine sozusagen persönlich un-
persönliche Ausdrucksweise
ringt, so hält man ohne
weiteres einen Maßstab in
Händen, womit die ganze
neue deutsche Produktion zu
messen einmal sehr lehrreich
wäre, um so mehr, als von
der neueren deutschen Pro-
duktion nicht vieles übrig
bleibt, was diesen Maßstab
eines gewiß nicht großen,
aber eines im besten Sinne
lebendig gebildeten Künstlers
nur verträgt.
Derain war Schüler Mo-
reaus. Ebenso wie Matisse.
Woraus sich ergibt, daß die
Bedeutung des Moreauschen
Lehreinflusses auf nachimpres-
sionistische Künstler noch
nicht genügend beachtet wor-
den ist. Derain ist auch sonst
viel in den Jahren seiner Ent-
wicklung mit Matisse zusam-
mengewesen. Beide stellten
sich, zum Beispiel, gemein-
sam Aufgaben, um Formpro-
bleme bewältigen zu lernen.
Einmal verabredeten sie sich,
eine Dame in Blau zu malen.
Als sie ihre Bilder dann ver-
glichen, zerstörte Derain ganz
verzweifelt seine Arbeit, weil
sie sich seiner Meinung nach
neben der von Matisse nicht halten konnte. Natür-
lich konnte ein solches Zusammenarbeiten, besser:
Gegeneinanderarbeiten nicht fortgesetzt werden,
ohne zu Konflikten zu führen. Die traten denn
auch ein, und es wird erzählt, daß Matisse einst
weinend nach Hause gekommen sei, weil Derain
ihn auf der Straße nicht gegrüßt hätte. Diese Art
Künstler nehmen es ernst, ihre Arbeit, ihr Men-
schentum, ihre Kollegialität; es ist Schicksalsluft
in ihren Lebensläuften. Heute gilt Derain in Paris,
wie gesagt mehr als Matisse, trotzdem er selbst
diesen zeitweise über sich gestellt hat. Daß es so
bleiben wird, glaube ich freilich nicht. Ein Ver-
gleich — den die Matisseausstellung des vorigen
Jahres bei Flechtheim ermöglicht — scheint mir
M4
MIT ERLAUBNIS DER GALERIE A. FLECHTHEIM. BERLIN
beitsweise sich leicht einstellende Kälte zu fürchten,
ohne den Gefahren auszuweichen, daß das, was
ins Klassische geraten soll, leicht klassizistisch wird,
daß von der reinen Form zum Formalismus nur
ein Schritt ist, daß alle heroisierende Absicht in
diesen Zeitläuften leicht zur Galvanisierung wird,
und daß der Wille zur purifizierten, zur primitiv
klaren Form wie von selbst' zum Manierismus
führt. Wie immer das Gefühl zur Kunst Derains
stehen möge: der Erkenntnis ist dieser Künstler
im hohen Maße interessant. Sieht man, wie er
ein Bild, eine Zeichnung baut, wie er die Massen
und Werte ausbalanziert, wie er die Rapports her-
stellt, wie er auf den Spuren alter Meister und
neuer Vorbilder um eine sozusagen persönlich un-
persönliche Ausdrucksweise
ringt, so hält man ohne
weiteres einen Maßstab in
Händen, womit die ganze
neue deutsche Produktion zu
messen einmal sehr lehrreich
wäre, um so mehr, als von
der neueren deutschen Pro-
duktion nicht vieles übrig
bleibt, was diesen Maßstab
eines gewiß nicht großen,
aber eines im besten Sinne
lebendig gebildeten Künstlers
nur verträgt.
Derain war Schüler Mo-
reaus. Ebenso wie Matisse.
Woraus sich ergibt, daß die
Bedeutung des Moreauschen
Lehreinflusses auf nachimpres-
sionistische Künstler noch
nicht genügend beachtet wor-
den ist. Derain ist auch sonst
viel in den Jahren seiner Ent-
wicklung mit Matisse zusam-
mengewesen. Beide stellten
sich, zum Beispiel, gemein-
sam Aufgaben, um Formpro-
bleme bewältigen zu lernen.
Einmal verabredeten sie sich,
eine Dame in Blau zu malen.
Als sie ihre Bilder dann ver-
glichen, zerstörte Derain ganz
verzweifelt seine Arbeit, weil
sie sich seiner Meinung nach
neben der von Matisse nicht halten konnte. Natür-
lich konnte ein solches Zusammenarbeiten, besser:
Gegeneinanderarbeiten nicht fortgesetzt werden,
ohne zu Konflikten zu führen. Die traten denn
auch ein, und es wird erzählt, daß Matisse einst
weinend nach Hause gekommen sei, weil Derain
ihn auf der Straße nicht gegrüßt hätte. Diese Art
Künstler nehmen es ernst, ihre Arbeit, ihr Men-
schentum, ihre Kollegialität; es ist Schicksalsluft
in ihren Lebensläuften. Heute gilt Derain in Paris,
wie gesagt mehr als Matisse, trotzdem er selbst
diesen zeitweise über sich gestellt hat. Daß es so
bleiben wird, glaube ich freilich nicht. Ein Ver-
gleich — den die Matisseausstellung des vorigen
Jahres bei Flechtheim ermöglicht — scheint mir
M4