Statt die Aufgabe derart als Ganzes zu erfassen,
gründeten wir eine neue technisch-wissenschaftliche
Disziplin, den Städtebau, in die sich die Archi-
tekten, die Ingenieure und die Volkswirte gleicher-
weise teilten. Jeder dieser Berufe aber sah darin
nur sein Problem, dessen Bearbeitung und Lö-
sung er nun für sich betrieb — und so blieb die
Aufgabe als Ganzes ungelöst. In den Teillösungen
sind am weitesten gelangt die Ingenieure, die den
gesteigerten hygienischen Anforderungen, wie sie
sich bei der zunehmenden Anhäufung großer
Menschenmassen ergaben, durch ihre fortschritt-
lichen Erfindungen auf den Gebieten des Verkehrs,
der Trinkwasserversorgung und der Kanalisation
Genüge schafften. Die Volkswirte haben dann
später, und in Deutschland leider zu spät, die Zu-
sammenhänge geklärt zwischen den wirtschaftlichen
und sozialen Bedingungen der Aufgabe, zwischen
Bodenaufteilung (Bebauungsplan), Hausformen und
Wohnweise. Was endlich die Architekten an-
geht, so haben sie sich eigentlich nur mit der
äußeren Seite der Aufgabe beschäftigt. Unter dem
Einfluß der überlieferten Lehrmeinung ihrer aka-
demischen Schule suchten sie gewohnheitsgemäß
auch diese Aufgabe im dekorativ-formalen Sinne
zu lösen: Städtebau war für sie gleichbedeutend
mit der Kunst, repräsentative Stadtbilder zu schaffen
durch Entfaltung prächtiger Straßenzüge und mo-
numentaler Architekturplätze.
In der Formengebung folgte diese repräsentative
Stadtbaukunst den jeweils von dem akademischen
Eklektizismus bevorzugten historischen Vorbildern.
Nachdem zuerst Camillo Sitte wieder auf die allzu-
lange vernachlässigten künstlerischen Fragen des
Städtebaues hingewiesen hatte, begann man, der da-
mals herrschenden Architekturrichtung folgend und
entsprechend auch den Anregungen, die Sitte selbst
(durch sein 1889 erschienenes Buch ,,Der Städtebau
nach seinen künstlerischen Grundlagen") gegeben
hatte, die Lösung dieser Aufgaben, im Anschluß an
Vorbilder mittelalterlicher Stadtgestaltung, im „ma-
lerischen Sinne" zu betreiben. Als die Baukunst
dann später die altbewährten Traditionen des Klassi-
zismus wieder aufnahm, da schwenkte auch die
Stadtbaukunst in die Bahn dieser Überlieferung ein.
An die Stelle mittelalterlicher Krummstraßen und
malerischer Platzanlagen trat in den Plänen jetzt
die gerade Linie und die streng ausgerichtete
Symmetrie regelmäßiger Platzbildungen. Und wie
der Klassizismus als kosmopolitischer Universalstil
auch für die mannigfachen Bauaufgaben der Gegen-
wart fast unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten
bietet — vorausgesetzt immer, daß man sich mit
einer rein äußerlich-dekorativen Lösung dieser Auf-
gaben begnügt — so hat sich diese Tradition auch
für den Stadtbau als brauchbar erwiesen. Es kommt
hinzu, daß die landesfürstlichen Stadtgründungen
der Barockzeit und des Klassizismus dem Wesen
nach der modernen Großstadt artverwandt sind,
weil auch sie in ihrem Wachstum weniger ein
langsames Werden, als ein beständiges planvolles
Neugründen darstellt.
Die entschlossene Rückkehr zu den Traditionen
des Klassizismus hatte aber im Grunde tiefere Ur-
sachen. Nach einer Zeit, die durch wahllose Stil-
nachahmung jedes Gefühl für Sinn und Bedeutung
der architektonischen Form zerstört hatte, war sie
der erste Schritt zur Selbstbesinnung. Die Neigung
zum Klassizismus entsprang dem Wunsche, wieder
„die wahren und ewigen Gesetze der Kunst" auf-
zusuchen, denen man auf dieser Fährte nach Jacob
Burckhardts bekanntem Wort näher blieb. Eben
die Gesetzmäßigkeit dieses Stils ist es, aus der sich
die beinahe instinktive Wendung zur klassizistischen
Überlieferung erklärt. Die pädagogische Kraft, die
ihm innewohnt und die dem Klassizismus immer
wieder in Zeiten der Schwäche und des Nieder-
gangs begeisterte Anhänger warb, hat auch dies-
mal wieder ihre anziehende Wirkung nicht ver-
fehlt. Nur so wird auch der beispiellose Erfolg
verständlich, den ein Werk wie Ostendorfs „Theorie
des Entwerfens" (Sechs Bücher vom Bauen, Bandl,
4. Aufl., Berlin 1923, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn)
gehabt hat, ein Buch, das aus den Lehren des
Klassizismus ganz elementare und eben darum
eigentlich selbsverständliche Gestaltungsgrundsätze
ableitet, das aber um der klaren Neuformulierung
eben dieser Elementarregeln willen ■— trotz seiner
im übrigen maßlos übertriebenen, bis zur Unge-
rechtigkeit einseitigen, ja falschen Urteile — gerade
weil diese Grundsätze so vollständig verloren ge-
gangen waren, überall in Fachkreisen mit heller
Begeisterung aufgenommen worden ist.
Auch der neue Klassizismus ist, wie bekannt,
schließlich wieder in akademische Stilübungen aus-
geartet. Dennoch — die Erneuerung dieser Über-
lieferung hat ihr gutes gewirkt. Sie hat eine gründ-
liche Reinigung gebracht und zu einer Klärung und
172
gründeten wir eine neue technisch-wissenschaftliche
Disziplin, den Städtebau, in die sich die Archi-
tekten, die Ingenieure und die Volkswirte gleicher-
weise teilten. Jeder dieser Berufe aber sah darin
nur sein Problem, dessen Bearbeitung und Lö-
sung er nun für sich betrieb — und so blieb die
Aufgabe als Ganzes ungelöst. In den Teillösungen
sind am weitesten gelangt die Ingenieure, die den
gesteigerten hygienischen Anforderungen, wie sie
sich bei der zunehmenden Anhäufung großer
Menschenmassen ergaben, durch ihre fortschritt-
lichen Erfindungen auf den Gebieten des Verkehrs,
der Trinkwasserversorgung und der Kanalisation
Genüge schafften. Die Volkswirte haben dann
später, und in Deutschland leider zu spät, die Zu-
sammenhänge geklärt zwischen den wirtschaftlichen
und sozialen Bedingungen der Aufgabe, zwischen
Bodenaufteilung (Bebauungsplan), Hausformen und
Wohnweise. Was endlich die Architekten an-
geht, so haben sie sich eigentlich nur mit der
äußeren Seite der Aufgabe beschäftigt. Unter dem
Einfluß der überlieferten Lehrmeinung ihrer aka-
demischen Schule suchten sie gewohnheitsgemäß
auch diese Aufgabe im dekorativ-formalen Sinne
zu lösen: Städtebau war für sie gleichbedeutend
mit der Kunst, repräsentative Stadtbilder zu schaffen
durch Entfaltung prächtiger Straßenzüge und mo-
numentaler Architekturplätze.
In der Formengebung folgte diese repräsentative
Stadtbaukunst den jeweils von dem akademischen
Eklektizismus bevorzugten historischen Vorbildern.
Nachdem zuerst Camillo Sitte wieder auf die allzu-
lange vernachlässigten künstlerischen Fragen des
Städtebaues hingewiesen hatte, begann man, der da-
mals herrschenden Architekturrichtung folgend und
entsprechend auch den Anregungen, die Sitte selbst
(durch sein 1889 erschienenes Buch ,,Der Städtebau
nach seinen künstlerischen Grundlagen") gegeben
hatte, die Lösung dieser Aufgaben, im Anschluß an
Vorbilder mittelalterlicher Stadtgestaltung, im „ma-
lerischen Sinne" zu betreiben. Als die Baukunst
dann später die altbewährten Traditionen des Klassi-
zismus wieder aufnahm, da schwenkte auch die
Stadtbaukunst in die Bahn dieser Überlieferung ein.
An die Stelle mittelalterlicher Krummstraßen und
malerischer Platzanlagen trat in den Plänen jetzt
die gerade Linie und die streng ausgerichtete
Symmetrie regelmäßiger Platzbildungen. Und wie
der Klassizismus als kosmopolitischer Universalstil
auch für die mannigfachen Bauaufgaben der Gegen-
wart fast unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten
bietet — vorausgesetzt immer, daß man sich mit
einer rein äußerlich-dekorativen Lösung dieser Auf-
gaben begnügt — so hat sich diese Tradition auch
für den Stadtbau als brauchbar erwiesen. Es kommt
hinzu, daß die landesfürstlichen Stadtgründungen
der Barockzeit und des Klassizismus dem Wesen
nach der modernen Großstadt artverwandt sind,
weil auch sie in ihrem Wachstum weniger ein
langsames Werden, als ein beständiges planvolles
Neugründen darstellt.
Die entschlossene Rückkehr zu den Traditionen
des Klassizismus hatte aber im Grunde tiefere Ur-
sachen. Nach einer Zeit, die durch wahllose Stil-
nachahmung jedes Gefühl für Sinn und Bedeutung
der architektonischen Form zerstört hatte, war sie
der erste Schritt zur Selbstbesinnung. Die Neigung
zum Klassizismus entsprang dem Wunsche, wieder
„die wahren und ewigen Gesetze der Kunst" auf-
zusuchen, denen man auf dieser Fährte nach Jacob
Burckhardts bekanntem Wort näher blieb. Eben
die Gesetzmäßigkeit dieses Stils ist es, aus der sich
die beinahe instinktive Wendung zur klassizistischen
Überlieferung erklärt. Die pädagogische Kraft, die
ihm innewohnt und die dem Klassizismus immer
wieder in Zeiten der Schwäche und des Nieder-
gangs begeisterte Anhänger warb, hat auch dies-
mal wieder ihre anziehende Wirkung nicht ver-
fehlt. Nur so wird auch der beispiellose Erfolg
verständlich, den ein Werk wie Ostendorfs „Theorie
des Entwerfens" (Sechs Bücher vom Bauen, Bandl,
4. Aufl., Berlin 1923, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn)
gehabt hat, ein Buch, das aus den Lehren des
Klassizismus ganz elementare und eben darum
eigentlich selbsverständliche Gestaltungsgrundsätze
ableitet, das aber um der klaren Neuformulierung
eben dieser Elementarregeln willen ■— trotz seiner
im übrigen maßlos übertriebenen, bis zur Unge-
rechtigkeit einseitigen, ja falschen Urteile — gerade
weil diese Grundsätze so vollständig verloren ge-
gangen waren, überall in Fachkreisen mit heller
Begeisterung aufgenommen worden ist.
Auch der neue Klassizismus ist, wie bekannt,
schließlich wieder in akademische Stilübungen aus-
geartet. Dennoch — die Erneuerung dieser Über-
lieferung hat ihr gutes gewirkt. Sie hat eine gründ-
liche Reinigung gebracht und zu einer Klärung und
172