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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 21.1923

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.4655#0374

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zeugtheit und der Vernichtungswut dieser Jahrzehnte scheint
der Verfasser derart abgestoßen, daß sich ihm keine ver-
söhnliche Überlegung einstellen will. Eine der Zukunft zu-
gewandte Betrachtungsweise aber wird, das Schicksal dieser
durch Dezennien allzu schnell wachsenden und sich wan-
delnden Stadt bedenkend, aus dem Erlebnis des alten Berlin
vielmehr begründetes Vertrauen zum genius loci gewinnen
und den Glauben, daß sich mit einer deutschen Wieder-
geburt hier wieder charaktervolle Form durchsetzen wird.

Carl Koch.

Oswald Siren: Toskanische Maler im XIILJahr-
hundert. Verlag Paul Cassirer, Berlin 1922.

Bis vor fünfzehn, ja bis noch vor zehn Jahren wurde
die Kunstgeschichte in fieberhafter Weise nach impressio-
nistischen Ahnen durchsucht, in den letzten Jahren geht
nun die wilde Jagd naturgemäß auf die Stammväter des
Expressionismus. Siren verschafft uns für unsere Ahnen-
galerie der Ausdruckskunst toskanische Dugentobilder.

Es wäre natürlich sinnlos, wenn ein Gelehrter sich gegen
die unwillkürliche Beeinflussung durch die aktuellen Pro-
bleme seiner Zeit wehren wollte; selbstverständlich bringt
jede neue Generation von Kunsthistorikern eine neue Art
von Sehen mit und wirft sich auf jene Gebiete der Kunst-
geschichte, welche sie als wahlverwandt empfindet. Wenn
man aber sein eigenes, ostentativ betontes zeitliches Ein-
gestelltsein zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen
Arbeit wählt und die Art der Behandlung seines Themas
von dieser künstlichen Einstellung abhängig macht, dann
rächt sich diese von Anfang an bestehende Verschiebung
der Akzente trotz alles aufgebotenen wissenschaftlichen
Hilfsapparats durch ein immer stärkeres Abgleiten ins Un-
wissenschaftliche. Das Buch Siren'sist ein Schulbeispiel dafür.

Die Malerei des dreizehnten Jahrhunderts, — welche in
der byzantinischen Kunst und durch sie hindurch in der
Antike gerade das suchte, worin sie über die byzantinische
Kunst hinausgehen wollte, nämlich reale Raumdarstellung
und plastische Wirkung — eignet sich nur zu einem geringen
Teil für eine Untersuchung, welche um jeden Preis Er-
zeugnisse einer „primitiven" Ausdruckskunst finden will.

Da es Sirin nun einmal aber auf das Dugento abgesehen
hat, so läßt er das wichtige Siena, vom bösen so sehr
antikisierenden Rom ganz zu schweigen, vollständig beiseite
und konzentriert sich in einer historisch ziemlich unzulässigen
Weise auf das Toskana im engsten Sinne, wo er, bezeich-
nenderweise besonders im kleinen Lucca, zum Teile in den
Werken von zwar recht interessanten und sicherlich nicht
„primitiven", aber doch provinziellen Ikonen-Malern, die er
zu einsam schaffenden, religiösen Dichtern stempelt, Belege
für seinen Expressionismus sucht. Diese Willkür wird auch in
der Art der Schaffung von Künstlerindividualitäten, in der sti-
listisch oft unmöglichen Zuschreibung ihres Oeuvre fortge-
setzt. Dies ist sowohl bei den vielen kleinen wie auch bei den
ganz wenigen bedeutenden Künstlern, von denen er spricht,
der Fall. Ein Exempel dafür bildet die Behandlung jenes Mei-
sters, den wir vorläufig nur unter dem Sammelnamen „Cima-
bue" als den Schöpfer einiger sehr schöner Madonnenbilder
kennen. Siren läßt die Seeschlange der Cimabue-Legende
mit einer beängstigenden Vehemenz wieder aufleben. Um-
sonst wissen wir, daß der Mythos über den großen Maler
Cimabue eine Erfindung des fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts darstellt, umsonst wissen wir, daß sein ein-
ziges beglaubigtes Werk, das Johannes-Mosaik im Dom
von Pisa zu zweidrittel restauriert ist, sodaß von hier
aus kein Weg zur ernsten Feststellung eines Oeuvre führen
kann. Sirin macht sich trotzdem an diese Arbeit und setzt
sich mit wenigen leicht überlesbaren optimistischen Bemer-
kungen über die traurige Tatsache hinweg. Vollkommen
unbegreiflich ist es auch, daß Siren die so sehr sienesische
und einheitliche Madonna Ruccellai, — welche nunmehr
mit ziemlicher Sicherheit als ein Fiühwerk des Sienesen
Duccio erkannt ist — zwar von Duccio anlegen, aber von
Cimabue ausführen läßt.

Durch diese Verwirrung der bisherigen mühsam gewon-
nenen Resultate wird der Kunstgeschichte kein Nutzen er-
wiesen, wohl aber durch die guten und zahlreichen Ab-
bildungen interessanter Werke, von denen ein großer Teil
bisher noch überhaupt nicht aufgenommen war. Die Freude
darüber läßt einen alle Mängel des Textes vergessen.

Friedrich Antal.

EINUNDZWANZIGSTER JAHRGANG, ZWÖLFTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 14. AUGUST AUSGABE AM 1 SEPTEViRFR
NEUNZEHNHUNDERTDREIUNDZWANZIG. REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER, G.M.B.H., LEIPZIG
 
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