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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Elsenhans, Theodor: Das künstlerische Genie und die Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0191

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Elsenhans, Das künstlerische Genie und die Ästhetik, Diskussion 185

des Genusses, jene Mitteilungsfreude, jenen Drang nach Umsetzung des Erlebten,
ein Zustand, der als seelische Erscheinung nicht wesensverschieden von dem
aktiven Verhalten des Künstlers in der Inspiration ist, von dem sich nur graduelle
Unterschiede aussagen lassen. Was die Verhaltungsweisen angeht, so wird die
Aktivität des Künstlers und die des ästhetisch genießenden Laien zum gemeinsamen
Erlebnis.
Herr Moo g: Das Problem des künstlerischen Genies ist zu kompliziert,
als daß man mit der Festsetzung einzelner begrifflich bestimmter Merkmale hier
schon viel weiterkommen könnte. Man wird z. B. nicht ohne weiteres die größere
Intensität des Erlebens als ein Zeichen größeren Genies ansehen können. Goethes
Jugendwerke sind zweifellos viel intensiver und aktiver erlebt als seine Alters-
werke; ob sich aber in jenen darum das höhere künstlerische Genie offenbart, ist
doch noch fraglich. Auch Originalität braucht nicht ein wesentliches Merkmal
des Genies zu sein, zum mindesten nicht die Originalität im Stofflichen und Inhalt-
lichen. Manche Künstler wie z. B. Goethe behandeln gerade solche Stoffe mit
Vorliebe, die schon von Früheren bearbeitet sind, und erst in der Art der Um-
formung zeigt sich die künstlerische Kraft.
Das Wesen des Genies wird sich erst durch die mannigfachsten Einzelunter-
suchungen näher bestimmen lassen, man wird zunächst nur die qualitative
Eigenart des Genies, wie sie uns in seinen mancherlei Äußerungen entgegentritt,
beschreiben können, ohne damit schon genau bestimmte Merkmale des Genies
überhaupt festsetzen zu wollen. Unbewußtes und Bewußtes wirken im
künstlerischen Schaffen zusammen, die Bestimmung des Verhältnisses der beiden
Komponenten aber ist schwierig, oft unmöglich, da wir hier mit großen
individuellen Verschiedenheiten rechnen müssen, die vielfach nachträglich gar
nicht mehr festzustellen sind.
Herr Elsenhans: 1. Die Stimmung des Künstlers im Moment der In-
spiration wird besser nicht als „rezeptiv“ bezeichnet. Sie ist zwar nicht aktiv,
wie die des bewußten Wollens, aber sie ist eine im höchsten Sinne produktive
Gemütslage, sofern sie eben den Keim des Kunstwerks hervorbringt.
2. Originalität als Hervorbringung des Kunstwerks als eines absolut Neuen
gibt es überhaupt nicht. Sie ist nur der Ausdruck dafür, daß der Künstler dem
in ihm vorhandenen Vorstellungsmaterial das Gepräge des einheitlichen Kunst-
werks und das Gepräge seiner Künstlerpersönlichkeit gibt. Daß aber Originalität
— so wenig wie die „Intensität des Erlebens“ — für sich allein noch keine
Bürgschaft für die Qualität des Kunstwerks ist, habe ich ausdrücklich
hervorgehoben.
3. Da wir den Begriff des Genies in der Kunst nicht entbehren können,
können wir auch nicht vermeiden, Merkmale des Genies zu bestimmen. Dadurch,
daß wir nur „ungefähr“ von ihnen sprechen oder die Merkmale auf eins oder
zwei beschränken, ist nichts gewonnen.
 
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