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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Treu, Georg: Durchschnittsphotographie und Schönheit: (Auszug)
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0193

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Treu, Durchschnittsphotographie und Schönheit

187

damit steigert. Es sollte dieser Versuch zugleich die Veranschaulichung
einer Forderung bieten, die wir auch an das künstlerische Bildnis in bezug
auf Ähnlichkeit und die Hervorhebung dauernder Wesenszüge zu stellen
pflegen. Was dagegen dem auf mechanischem Wege hergestellten Durch-
schnittsbilde naturgemäß fehlt, ist der ganze Reiz persönlich künstlerischer
Auffassung und Wiedergabe, also gerade das, was wir im Kunstwerk als das
Wertvollste empfinden.
b) Als Charakterköpfe wurden je acht, in zwei Sammelbildern
vereinigte Aufnahmen Blödsinniger und Schwermütiger von dem amerika-
nischen Irrenarzt Nayes vorgeführt. Hier trat besonders in dem Bilde des
Melancholikers deutlich hervor, wie die in der Durchschnittsaufnahme ver-
stärkten Wesenszüge der Schwermut uns die seelische Deutbarkeit des
Antlitzes erleichtern und es damit einem fast künstlerischen Ein-
druck nähern.
c) Rassentypen werden sonst gewöhnlich entweder durch die
Aufnahme eines einzelnen für besonders charakteristisch gehaltenen Ver-
treters der Rasse zu gewinnen gesucht oder aber durch Summierung einer
beschränkten Anzahl von Messungen. In beiden Fällen arbeitet man mit
unzulänglichen Mitteln, die entweder eine täuschende oder doch eine ganz
unzureichende Anschauung vermitteln. Bowditch war es, der zum ersten
Male zugleich zuverlässige und anschauliche Rassenbilder auf dem Wege
der Durchschnittsphotographie herstellte, indem er u. a. 108 Aufnahmen
sächsischer und wendischer Soldaten in neun Typenbildern vereinigte. Die
schlagende Übereinstimmung der volksverwandten sächsischen Typen und
ihre Unterschiede von den fremden wendischen boten hier die Gewähr
für die Richtigkeit und Verläßlichkeit seines Verfahrens. In ästhetischer
Hinsicht war die Tatsache besonders bedeutsam, daß sich das Durch-
schnittsbild jeder der Einzelaufnahmen gegenüber an Schönheit beträcht-
lich überlegen erwies, und zwar ausnahmslos.
d) Dieser Schönheitseindruck des Durchschnittsbildes wächst mit der
Zahl seiner Komponenten. Zum Beweise dafür wurde eine von Lovell in
Northampton hergestellte Durchschnittsphotographie gezeigt, in welcher die
Köpfe von nicht weniger als 449 amerikanischen Studenten zu einem
Gesamtbilde vereinigt waren. (Neuerdings abgebildet bei Bulle, Der schöne
Mensch, 2. Aufl. S. 429.) Auch eine Sammelaufnahme von rund 47 Studen-
tinnen, die freilich als Mitglieder des Harvard College in Boston an sich
schon eine Auslese darstellen, zeigt dieselben Eigenschaften. Sie ist von
hervorragender Schönheit und sieht dem amerikanischen Studenten wie die
Schwester dem Bruder ähnlich.
Aus den unter c und d aufgeführten Versuchen ergibt sich mithin die
wichtige Tatsache, daß die Annäherung der Gesichtsformen
an den Mittelwert des Rassentypus von uns als schön
empfunden wird.
Kunstgeschichtlich wichtig ist ferner der Umstand, daß jene Typen-
schönheit der Rasse eine auffallende Übereinstimmung zeigt mit den
 
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