Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

DOI Heft:
Abteilung II
DOI Artikel:
Hoernes, Moritz: Die Anfänge der bildenden Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0220

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
214

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Diese unendlich langen und fernen Zeiträume vollenden ihre eigenen
geschlossenen Kreisläufe. Man kann sie paradigmatisch, aber nicht
historisch im engeren Sinne verwerten. Ähnliches gilt von der Kunst und
Kultur der neueren Naturvölker. Leider gibt es übelberatene Prähistoriker
und Ethnographen, die rein mit ihren eigenen Mitteln dem Philosophen ins
Handwerk pfuschen. Aber es hat sich gezeigt, daß sie dabei immer auf
unfruchtbare Abwege geraten. Ich könnte mehr oder minder drastische
Beispiele dafür zitieren, will es aber lieber sein lassen. Der Archäologe
kennt alte, ältere und relativ älteste Typen und Zustände. Der Ethnograph
hat es vielfach mit altertümlichen, zum Teil hochaltertümlichen Erschei-
nungen zu tun. Aber die allerältesten Formen, die, worauf es bei einer
grundlegenden Betrachtung eigentlich ankommt, sind dem einen wie dem
anderen verschlossen und unzugänglich. Um sie, falls sie uns wirklich
einmal begegnen sollten, zu erkennen, müßten wir schon vorher wissen,
wie sie beschaffen sind. Vielleicht zeigt uns das die Kinderkunst — vielleicht
auch nicht.
Was kann also der Prähistoriker? Geschichtserzählung im gewöhnlichen
Sinn des Wortes, einschließlich des Anfanges der Kulturbahnen, dürfen
Sie von ihm nicht erwarten. Aber er kann zeigen, was prähistorische Kultur
und prähistorische Kunst überhaupt sind, wie sie zeitlich und räumlich in
Gruppen auseinanderfallen, die von erkennbaren und minder erkennbaren
natürlichen Bedingungen abhängig sind. Er kann zeigen, was sie unter-
einander trennt und was sie zum Unterschiede von aller historischen Kunst
und Kultur miteinander gemeinsam haben. Das ist sehr viel, wenn man
bedenkt, daß damit in einer — wenigstens für Europa — sehr genau
studierten Überlieferung die Elemente nachgewiesen werden, aus deren
fruchtbarer Vereinigung später, teils in anderen Erdräumen, teils in Europa
selbst, die historische Kunst und Kultur hervorgegangen ist.
Ich habe nicht die Absicht, darüber mehr zu sagen, als in den folgenden
Thesen enthalten ist, und was ich zu deren Erläuterung angesichts einiger
Lichtbilder hinzufügen möchte. Die volle Ausführung und Begründung
meiner Lehrsätze gebe ich demnächst in der zweiten Auflage meiner „Ur-
geschichte der bildenden Kunst in Europa“, die ein ganz neues Buch, viel
reicher und reifer als das erste, werden soll. Hier kommt es mir viel mehr
darauf an, Urteile über meine Ansichten zu vernehmen, als diese selbst weit-
läufig zu entwickeln. Ich stelle folgende zehn Sätze zur Diskussion:
1. Die prähistorischen Altertümer Europas sind nach zeitlichen und
örtlichen Gruppen so wohl geordnet, daß man aus ihnen ein Paradigma
des Entwicklungsganges der bildenden Kunst in älterer und
ältester Zeit gewinnen kann.
2. Der besondere Erdraum, aus dem sie stammen, ist ein Rand-
gebietderAltenWelt,in dem, dank seiner Weltlage, Konfiguration
und wohl auch der Anlagen seiner Bewohner, in früheren Zeiten eine
hohe Spezialisierung und ungestörte lange Lebensdauer der
einzelnen Kunstrichtungen Platz greifen konnte. Infolgedessen sind hier
 
Annotationen