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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Wulff, Oskar: Die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung in den bildenden Künsten
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0343

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Wulff, Die Gesetzmäßigkeit d. Entwicklung in d. bildend. Künsten, Diskussion 337

o. e. Korrelationsgesetz) die Entfaltung der reproduktiven Betätigung
nach der einen oder anderen Richtung vor allem im Verhältnis der Form-
und Raumgestaltung zur Schatten- und Farbengebung sich in ungleichem
Tempo vollzieht.
Die historischen Stilbildungen (bzw. das Kunstwollen
der einzelnen Epochen) finden jedoch aus dem (hier allein berücksichtigten)
Prinzip des Illusionismus noch nicht ihre erschöpfende Erklärung, sondern
erst aus seiner Kreuzung mit dem rhythmischen Prinzip
(siehe oben), das vorzugsweise (durch die Stilisierung der Naturformen) die
Einheitlichkeit jeder Stilphase in den bildenden Künsten
sowie in der Raum- und Zierkunst bestimmt. Immerhin erscheint jede
Stilbildung zugleich von der anderen Seite her mehr oder weniger durch die
plastische oder malerische Anschauungsweise bedingt.
Die Entwicklung der Kunst vollzieht sich in den einzelnen
genetischen Reihen entweder nur durch Austausch und Summierung der
individuellen Leistungen (evolutionistische Stilbildung) oder
zugleich durch Aneignung (Assimilation) fremder (bzw. älterer) Kunst-
formen (synthetische Stilbildung). Der letztere Fall ist weit-
aus der häufigere.
Die genetische Entfaltung des assoziativen Faktors
in den bildenden Künsten läßt eine durchgehende innere Gesetzmäßigkeit
noch nicht erkennen, wohl aber Beziehungen der Korrelation zum
direkten Faktor (besonders zur jeweiligen Entwicklungsstufe der
Raumgestaltung), andererseits aber eine gewisse Abhängigkeit von
der erreichten Reife dichterischer Phantasiegestaltung,
sowie von der gesamten Geisteshaltung jeder Kulturlage.
Die Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft ist dem-
gemäß auf der Psychologie und Völkerpsychologie aufzubauen.
Diskussion:
Herr Wolff begrüßt freudig die evolutionistischen Grundsätze von Oskar
Wulffs Untersuchung. Entwicklungsgeschichte sei tatsächlich nicht bloße Chrono-
logie, vielmehr Zusammenordnung der entsprechenden Entwicklungsstufen in
parallelen genetischen Reihen. Dies Verfahren habe auch in der Theorie der
redenden Kunst, in der Poetik, greifbare Früchte gezeitigt. Natürlich voll-
ziehe sich hier wie dort die Entwicklung nicht in schroffem Wechsel, sondern in
allmählichem Übergang; und neben der evolutionistischen Stilbildung wirke auch
in der Poesie die synthetische durch Aneignung älterer Kunstformen fort. Das
Verhältnis der plastischen zur malerischen Anschauung bleibe zwar für die Poesie
sekundär; auch zeige sich in der frühesten Wertschöpfung schon Rücksicht auf
grell in die Augen fallende Farben. Aber plastische Anschauung falle schon weit
vor das eigentliche Naturgefühl, das erst allmählich die dramatische Szene durch
Beleuchtungseffekte vervollständige. Primär wirke in der poetischen Entwicklung
die zunehmende Subjektivität: ihr Aufstieg führe zur selbständigen Blüte der Lyrik;
ihr Ubergreifen auf andere Individuen, die Erkenntnis verschiedener Individuali-

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