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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung III
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Allesch, Gustav Johannes von: Über die Natur des Dramas
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0381

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von Allesch, Über die Natur des Dramas, Diskussion

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vergegenwärtigt unmittelbar das Leben und bringt dadurch die
Elementarempfindungen der Menschenbrust zu künstlerischem Ausleben. — Eine
solche oder ähnliche, aus der Geschichte des Dramas induzierte Begriffsbestimmung
riecht nicht mehr nach der Lampe: wir wittern den Hauch des Lebens. Ich schließe
gewiß nicht: ceterum censeo deductionem esse delendamf, wohl aber ceterum
censeo inductionem nec non evolutionem esse quaerendas!
Herr Flemming: Erkenntnis heißt Aufzeigen der Gesetzlichkeit.
Diese muß schließlich sich stützen auf eine, die in sich selbst gegründet ist.
Gerade dem Umstande, daß wir keine gebräuchliche und allgemein an-
erkannte Ästhetik besitzen, verdanken wir diesen Kongreß. Immer wieder sehen
wir uns darauf hingewiesen, wie die Kunstwissenschaft die Ästhetik braucht, und
zwar eine feste, gesicherte Methode. Sie allein kann uns in den Wesenskern
der Kunst wie der Künste leiten.
Wollten wir die Natur des Dramas etwa aus gegebenen fertigen Inhalten
ableiten, so würde dieser Materialismus uns nimmer zu seinem Herzen dringen
lassen. Denn alle Einzelkünste sind keine Dinge, keine starren, „gegebenen"
Formen — das ist Formalismus —, sondern Erzeugungsweisen einer Gesetzlichkeit,
Methoden. Die Methode erzeugt den Gegenstand, denn sie ist das Lebens-
gesetz des Organismus. Mit dem Nachweis der Eigengesetzlichkeit, der Autonomie,
rechtfertigt sie das Faktum des Kunstwerkes als eigenartigen ästhetischen Wert.
Welches ist nun die erzeugende Gesetzlichkeit, die das Faktum, die Gestalt
des Dramas hervorbringt?
Gestaltwerdung unterscheidet das Kunstwerk von den übrigen Hervor-
bringungen menschlichen Kulturschaffens. In der Gestalt konkretisiert sich die
Gesetzlichkeit. Das Wesen jeder Einzelkunst wird aber nicht nur eine
Konkretisierung der künstlerischen Gesetzlichkeit überhaupt sein, sondern zugleich
auch eine Restriktion, nämlich durch das erzeugende Mittel. Nicht das Material,
sondern das hervorbringende Mittel begründet die Kunstart.
Die Sprache nicht als Mitteilung, sondern als Ausdruck ist das allgemeine
Mittel der Gattung. Die für das Drama grundlegende Spezialisierung liegt darin,
daß die Worte nicht nur gesprochen sind, sondern zugleich Geschehnis, ihr Gehalt
tritt vor uns in Gestalten, wird als Gegenwart und Sichtbarkeit erlebt. Diese
Notwendigkeit des Bildhaften bleibt stets ein Nacheinander einer kontinuierlichen
Kette von Bildern, greift also nicht in das Gebiet der Künste des Nebeneinanders,
der raumerzeugenden Künste über. Darin liegt auch die Stellung des Schau-
spielers begründet. Nicht sein Handeln, sondern die Handlung — diese
dramatische, ästhetische Handlung im Unterschied von der Begebenheit — ist das
Wesentliche. Handlung bedeutet jedoch Handeln von jemand auf jemand hin. Die
Relation des Erzählers mit dem Zuhörer verändert sich zu der zwischen Schau-
spieler und Zuschauer. Es ist aber eine Korrelation, auf die wir hier stoßen: der
Schauspieler muß nicht nur seine Handlung auf den Zuschauer abzielen, der
Zuschauer muß seinerseits seine in der Illusion wirklich werdende Handlung auf
den Schauspieler konzentrieren. Wie durch die Methode der Perspektive in der
Malerei der ästhetische Raum des Bildes erzeugt wird, so wird durch die Gestalt-
werdung des Wortes die ästhetische Welt des Dramas erzeugt, ihr Eigenwert und
ihre Sonderart wird auf diese Weise gesichert.
Die Korrelation mit dem Zuschauer hat nichts mit äußerer Rücksicht des
Dichters auf ein zufälliges Publikum zu tun. Das wäre Didaktik oder dergleichen.
Der Zuschauer wäre dabei Subjekt einer Mitteilung. Die ästhetische
Umwertung der Sprache besteht aber gerade darin, daß die Mitteilung zum
 
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