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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Hagen, L.: Nordische Bildwirkereien auf der Pariser Weltausstellung
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Nordische Bildwirkereien auf der Pariser Weltausstellung.

590. (Pariser Ausstellung.) «Lopie von einem alten Bildteppich im
Aunstindustriemuseum in Lhristiania.

Aus den Norske kfusflidsforening, Lhristiania.

kommt es, daß wir hier mehr mit blaugrünen, grün-
grauen, mattvioletten und gebrochenen Tönen aller
Art zu thun haben, während bei den Norwegern die
Neigung vorwaltet, satte, volltönige Farben zu be-
nutzen, unter denen oftmals einen: lebhaftem Roth
die Führung zufällt. Dabei geht man mitunter sehr
nahe an die Grenze des harten und es werden
Punkte berührt, wo der bewußt entwickelte Uultur-
mensch der Gegenwart nicht zu folgen vermag — er
fei denn ein fanatischer Theoretiker der Farbe um
jeden Preis.

Ungleich, wie der Farbensinn, ist auch der
zeichnerische Tharakter der Druamentation in Schweden
und Norwegen entwickelt. Bei den Norwegern ist
die Zeichnung entschieden flächenhaster, als bei den
Schweden. Will man also vom rein theoretischen

tandpunkte aus über dekorative Werths
entscheiden, so wäre der norwegischen
Entwicklung der Vorzug zu geben.
Die vornehme Frau aber, soweit sie
nicht von der Sucht angesteckt ist, das
Moderne höher zu schätzen als das
wahrhaft Schöne und sich frei weiß
von damenhafter Zimperlichkeit, wird
sich wahrscheinlich immer auf die Seite
der schwedischen Entwicklung schlagen.
Eine gewisse trotzige Breitspurigkeit in
der norwegischen Zeichnung wird sie
unsympathisch berühren, auch daun,
wenn sie sich unbefangen und vor-
urtheilslos dem Reiz der Frische und
Natürlichkeit hingibt, die den nor-
wegischen Sachen eigen ist. Gewiß, die
schwedischen zeigen mehr Zusammen-
hang mit den kontinentalen Uultur-
strömungen und daher (vielleicht) weniger
Ursprünglichkeit. Sie zeigen aber einen
tieferen Sinn für den organischen Zu-
sammenhang aller Lebenserscheinungen;
sie sind andächtiger, germanischer und
gemüthvoller als die voraussetzungs-
loseren norwegischen Arbeiten. Die
Norweger arbeiten mit derselben kühlen
Unverfrorenheit, mit derselben Gerad-
heit des Ausdruckes wie die großen
englischen Landschaftsmaler. Dabei
müssen sie nothgedrungen mehr Zu-
fälliges mit in den Aauf nehmen, als
die mehr philosophisch angehauchten
Schweden. So widersprechend es klingt,
verfallen die Norweger trotzdem leichter
ins Theoretische als die Schweden.
Das tritt namentlich in den großen
Wandteppichen hervor, deren es eine große Reihe
hier gibt. Sie muthen ungemein draniatisch an;

es ist immer ein großer schwungvoller Zug darin,
eine Aeckheit der Auffassung und eine Ungezwungen-
heit der Bewegung, die niemals ihre fesselnde
Wirkung verfehlt und sich der Erinnerung ein-
prägt als der Ausdruck bestimmter Aulturbestre-

bungen, die um der Gesammtheit willen irgendwo
einmal Gestalt gewinnen müssen. Aber es bleibt
immer die Gefühlsäußerung von Menschen, die nicht
ganz mit bestehenden Dingen einverstanden sind und
vorziehen würden, sie in ihrem eigenen welt-
verbessernden Sinn umzugestalten. Daher gehen
denn auch die Norweger in ihren Wandteppichen
hart an die Grenze der Monumentalkunst, während
sie bei der Behandlung der Ornamentik durch ihre

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