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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Venezianische Bilder auf der Ausstellung in Capodistria
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0026

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Venezianische Bilder auf der

Ausstellung in Capodistria

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hingegen von Gehilfen ausgeführt worden sein. Und
ferner könnte die Verschiedenheit der Signatur nicht
immer strikte durchgeführt sein. Beispielsweise trägt
das Markustriptychon vom Jahre 1474 in den Frari
zwar nicht die Ortsbezeichnung Venetiis, aber statt des
vorschriftsmäßigen Opus mit dem Namen im Genitiv
das ominöse factum per B. V. Ganz mit Recht
zählten Crowe und Cavalcaselle diesen Altar zu den
schönsten Leistungen Bartolomeos. Seit Morelli seine
Theorie verkündet hat, gilt er nichts mehr. Berenson
erkennt ihn nicht an und Lionelli Venturi konstruiert
mit ihm und einigen anderen Arbeiten das Oeuvre
eines Schülers.

Ich bin der Ansicht, daß mit der Verschieden-
heit der Signaturen methodisch nichts anzufangen
ist und daß man das Urteil über Bilder Bartolo-
meos genau wie bei Werken anderer Künstler aus-
schließlich auf die Qualität zu gründen hat. Die
Güte des Altarbildes von Lussingrande ist aber nun
derartig, daß die eigenhändige Ausführung nicht in
Zweifel gezogen werden kann. Partienweise erreicht
es sogar im Kolorit die Höhe der köstlichen Madonna
im Museo Nazionale in Neapel.

Das Bild scheint nicht für Lussingrande gemalt,
sondern erst im 19. Jahrhundert dorthin gebracht
worden zu sein. Denn es entspricht so sehr einer
Tafel, die Ignazio Rizzi-Neumann *) als in der Samm-
lung Craglietto befindlich beschreibt daß man an die
Identität glauben muß.

Auch von Alvise Vivarini wies die Ausstellung
ein Werk auf, das wohl bisher nicht bekannt war
und das nicht allzu reiche Oeuvre dieses Meisters
recht willkommen bereichert. Diese Freude wird aller-
dings durch die heutige Beschaffenheit des Bildes
etwas getrübt. Das Altarbild, das der Pfarrkirche
von Cherso gehört, besteht aus zwei Teilen, einer
Hauptafel mit vier Heiligen und einer Lünette
mit der Schutzmantel-Madonna. Die untere Tafel
trägt die Signatur »ALVVIXE (sie) VIVARIN P .«.
Auf ihr sind dargestellt Cosmas (resp. Damian), Se-
bastian, Katharina und Christophorus und zwar sind
die Figuren des erst- und des letztgenannten Heiligen
in so brutaler Weise abgeschnitten, daß darüber, daß
die Tafel verkleinert worden ist, kein Zweifel herr-
schen kann. Es fragt sich nur, wieviel ist auf beiden
Seiten abgesägt worden. Untersucht man das Bild
genauer, so ergibt sich, daß Sebastian ursprünglich
nicht den anderen Heiligen koordiniert, sondern die
zentrale Hauptfigur gewesen ist. Daß unter ihm die
Signatur angebracht ist, besagt wenig, mehr, daß er
mehr in die Tiefe und außerdem um eine niedrige
Stufe höher als die drei anderen Heiligen postiert ist.
Die noch einigermaßen leichte Asymmetrie im Aufbau
der Figuren verschärft sich in der Hintergrundarchi-
tektur so, daß man sie als unvereinbar mit quattro-
centistischem Empfinden und deshalb als nicht ori-
ginal bezeichnen muß. Hinter Sebastian blickt man
in eine Nische, die links hinter Cosmas mit dem
Rahmen abschneidet, an die sich aber rechts hinter

1) Discorsi letti nell' Accadetnia di Venezia, 1816,
p. 41 f. und 63.

Christophorus eine mit der Bildfläche parallellaufende
Wand anschließt. Man kann nicht anders als annehmen,
daß sich ursprünglich Sebastian und die Nische hinter
ihm genau in der Bildmitte befunden habe, daß sich
also links ebenfalls eine Wandfläche anschloß, vor
der ein fünfter Heiliger gestanden hat. Dieser wird
der von Cosmas unzertrennliche Damian gewesen
sein. Das Bild ist also links stärker als rechts be-
schnitten. Ebenso hat die Lünette an Breite und
scheinbar auch an Höhe eingebüßt. Die Malerei
selbst ist leidlich erhalten. Die Köpfe Sebastians und
Katharinas sind allerdings ein wenig verputzt. —
Seinem Stile nach gehört das Bild zu den späteren
Arbeiten Alvises; es wird wenige Jahre vor dem »Auf-
erstandenen Christus« in S. Giovanni in Bragora,
also etwa 1495, entstanden sein.

Schließlich zeigte die Ausstellung auch ein Werk
mit der Signatur des Andrea da Murano, aber kein
Gemälde, sondern das holzgeschnitzte Hochrelief einer
thronenden Madonna mit dem Kinde (Franziskaner-
kloster in Cherso). Die Inschrift, die- »OPUS AN-
DREAE DE MURANO | ADI 12 MAGGIO 1477*
lautet, ist augenscheinlich recht neuen Datums, nach
der Form der Buchstaben zu urteilen wohl gar aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich glaube
aber, daß sie getreu eine alte Inschrift wiedergibt
und in ihrer Aussage als zuverlässig anzusehen ist.
Denn einmal, wer hätte Interesse haben können, will-
kürlich einen Namen von so geringem Klang auf das
Relief zu setzen? Ferner werden beinahe regelmäßig
bei unlauteren Operationen verräterische Schnitzer ge-
macht. Der Wortlaut der Inschrift ist aber nicht zu
beanstanden und das Datum kollidiert nicht mit dem,
was wir sonst von Andrea da Murano wissen. Aller-
dings könnte als fraglich hingestellt werden, ob dieser
Andrea da Murano mit dem uns bekannten Maler
überhaupt identisch ist. Ich halte das für wahrschein-
lich, gleichzeitig aber für möglich, daß die Madonna
nicht von Andrea selbst, sondern von einem mit ihm
arbeitenden Bildschnitzer ausgeführt ist. Sie gehörte
offenbar zu einem jener in Venedig nicht seltenen
Altaraufbauten gotischer Form, deren Seitentafeln mit
Heiligenfiguren bemalt waren, deren Mittelnische aber
durch ein Werk der Holzplastik eingenommen wurde.
Als nächstliegende Beispiele seien der Antoniusaltar
im Vatikan von Antonio Vivarini und das schöne
Triptychon von Antonio und Bartolomeo bei Don
Guido Cagnola in Mailand genannt. Hier bildet ein
Verkündigungsrelief, dort eine Antoniusstatue die Mitte.
In beiden Fällen signieren nur die Maler. Der
Schnitzer arbeitete wohl nach Zeichnungen und An-
gaben der Maler und wurde deshalb nicht genannt.
Analog möchte nun das Madonnenrelief von einem
anonymen Schnitzer, die scheinbar untergegangenen,
gemalten Seitentafeln aber von Andrea ausgeführt sein,
der allein den Altar signierte. Das Madonnenrelief
ist eine ziemlich tiefstehende, handwerkliche Leistung,
die eine rohe Bemalung recht neuen Datums noch
unerfreulicher macht.

Der Dom von Cittanova hatte eine höchst sym-
pathische Halbfigur der Madonna mit dem Kinde
 
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