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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Hieber, Hermann: Ein wiederentdecktes Gemälde von Lucas Cranach d. Älteren
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0200

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375

Personalien

376

unter seinem Kreuze. Aber er bricht nicht etwa zu-
sammen, sondern er scheint zu gleiten, noch berühren
seine Knie den Boden nicht. Ein Scherge vor ihm
— die beste Figur des Bildes — zieht ihn am Strick
weiter, den Kopf mit seiner gemeinen Silhouette
scharf zurückwendend, während ein zweiter in kühner
Verkürzung zwischen den Kreuzesarmen hindurch den
Heiland an der Schulter emporzieht und ihm einen
Tritt in die Weichen versetzt. Ein Dritter haut über
den Kreuzesstamm weg mit einem Knüttel auf die
vorn kniende Veronika. Damit ist aber auch die
Schilderung des Vorgangs erschöpft. Alle übrigen
Menschen sind mehr oder weniger Füllfiguren. Über
den gebeugten Gestalten vorn taucht eine Reihe meist
geharnischter Knechte, über ihnen wieder, ohne Be-
teiligung an dem Vorfall, eine Reihe Berittener auf,
Kopf neben Kopf. Aus Köpfen besteht auch die
Menge der Anhänger des Heilands, die eben aus dem
Tor herauskommen. Dem Zug voraus marschieren,
unbekümmert um alles hinter ihnen, die beiden nackten
Schächer. Ihre Köpfe sind gut und sorgfältig ge-
zeichnet, aber die Akte wollten nicht so recht glücken.
Da ist das eine schreitende Bein erheblich kürzer geraten
als das andere, die Modellierung recht dürftig, und
um das Organische doch einigermaßen glaublich zu
machen, willkürlich hier und dort eine dicke, blaue
Ader hineingemalt. Die Beine der Knechte gleich
neben dem fallenden Heiland hinter dem Kreuz
wimmeln bedenklich durcheinander und der Körper
des Christus, noch mehr aber der Veronika, werden
in ihren bauschigen Gewändern fast ertränkt. Eben
diese Veronika hat auch die für den älteren Cranach
charakteristische hochgezogene Schulter.

Die Köpfe sind wesentlich besser als die Körper.
Der Christus dürfte wohl noch ausdrucksvoller sein,
aber neben den scharf und derb, doch nicht karikiert
gezeichneten Schergengesichtern taucht manch lieb-
licher Frauenkopf aus der Menge auf, ganz frauenhaft
sieht auch Johannes aus.

Den Hauptreiz der Tafel macht das Kolorit aus.
Der Heiland und die Geharnischten, ziemlich sym-
metrisch um ihn verteilt, mit ihrem stumpfen Grau
bilden einen vortrefflichen Gegensatz zu den un-
gebrochen roten, blauen, gelben und grünen Gewän-
dern. Das Stadttor ist als breite, fast lachsfarbene
Fläche gegeben, von der sich grün und schwarz
kostümierte Reiter prächtig abheben, daneben breitet
sich das dunkelsaftige Grün der massig behandelten,
nach Altdorfers Art im Umriß scharf gezackten Bäume
aus, und vor diese kommt Pilatus in gelbrotem Turban
und ein Hohepriester in scharlachrotem Kapuzen-
mantel zu stehen. Ein azurblauer, nach dem Horizont
hinab aufgelichteter Himmel über dem hellen gelb-
grünen Rasenhügel mit den drei Kreuzen, den ein
Reiter, ein Knecht mit einer Lanze, eine Frau mit
Kind und Hund recht fröhlich hinansteigen, strömt
eine wahre Lenzesstimmung aus, die freilich zu dem
schrecklichen Ereignis im Vordergrund nicht ganz zu
passen scheint. Man denke dagegen an Grünewalds
Passionslandschaften!

Den lieblichen, oval geformten Köpfen nach, die

noch unberührt sind von dem mongolischen Typus
der Spätzeit Cranachs, und nach dem aus züngelnden
Flämmchen bestehenden Heiligenschein des Christus
zu schließen, der nach Woermann (Zeitschrift für
bildende Kunst, Neue Folge XI, S. 26) nach 1515
verschwindet, muß die Altartafel vor dieses Jahr ge-
setzt werden. Man wird gut daran tun, sie in die
Nähe des Dresdener »Ecce homo« zu rücken (1515
entstanden), dem sie aber in der Zeichnung wie in
der Färbung vorzuziehen ist. Es liegt auch kein
Grund vor, eine Eigenhändigkeit zu bezweifeln; auf
jeden Fall ist diese »Kreuztragung« auf dem Sonnen-
stein ein bemerkenswerter Beitrag zu Cranachs des
Älteren Lebenswerk.

__Dr. HERMANN HI EBER - Dresden.

PERSONALIEN
Die Kgl. Akademie des Bauwesens in Berlin hat
dem Professor Dr. Wilh. Dörpfeld in Athen und dem Ober-
baurat Dr. Ing. Heinrich Gerber in München die Ooldene
Medaille verliehen.

Wien. Der Maler Albin Egger-Lienz hat einen
Ruf an die Hochschule für bildende Kunst in Weimar er-
halten, dem er wahrscheinlich Folge leisten wird. Er war,
wie wir jüngst berichteten, für eine Lehrkanzel an der
Wiener Akademie vorgeschlagen gewesen. Der Künstler,
ein Schüler Lindenschmitts in München, steht heute im
zweiundvierzigsten Lebensjahre und ist durch seine groß-
zügig und monumental aufgefaßten Historien- und Genre-
bilder aus Tirol bekannt geworden.

Professor Raffael Schuster-Woldan hat auf Einla-
dung des preußischen Kultusministeriums in der Villa Fal-
conieri in Rom Wohnung genommen, die alljährlich einem
Künstler zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt wird.

Neben Professor Hans Looschen hat auch Professor
Friedrich Klein-Chevalier, der jetzt in Florenz lebende
Berliner Maler, auf der jetzigen Jubiläumsausstellung Wien
1911 vom Erzherzog Karl Ludwig die goldene Preis-
medaille erhalten.

Als Nachfolger des verstorbenen Akademiepräsidenten
Karl von Groszheim ist der Stadtbaurat von Charlottenburg
Heinrich Seeling zum Mitglied des Senates der Berliner
Akademie der Künste gewählt worden. Baurat Seeling gilt
als einer der ersten Fachmänner für den Theaterbau. Neben
den Arbeiten, die er im Auftrage der Stadt Charlottenburg
ausgeführt hat, ist sein Hauptwerk das große Stadttheater
in Nürnberg. Seeling gehört auch neben Littmann und
Ihne zu den drei Architekten, die neuerdings in engerem
Wettbewerb zur erneuten Einreichung von Entwürfen für
das neue Berliner Opernhaus aufgefordert worden sind.

Auf eine fünfundzwanzigjährige erfolgreiche Wirksam-
keit konnte am 1. März der Restaurator des Kupferstich-
kabinetts des Reichsmuseums in Amsterdam, J. A. Boland,
zurücksehen. Er wurde am ig. Dezember 1838 in Oee-
steren geboren und bildete sich zum Kupferstecher und
Radierer unter dem Professor der Amsterdamer Akademie
J. W. Kaiser, mit diesem zusammen gab er 1865 das
sehr verdienstliche Werk heraus: *Curiosite's du Musee
d''Amsterdam. Eac-simile d'estampes de maüres inconnus du
I5e siecle«; die Auswahl und der Text war von Kaiser,
aber die Hauptarbeit, die 73 in der Größe der Originale
mit zarter Nadel ausgeführten Stiche, von denen 69
nach dem Meister des Amsterdamer Kabinetts, von Boland.
Dieselben sind von einer außerordentlich exakten und
 
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