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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Reinhold Begas
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HCAD. LESEH.

19.ÄUG1911 . i

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 35. 18. August 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 PI. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

REINHOLD BEGAS f

Wenige Tage nach seinem achtzigsten Geburtstage
ist Reinhold Begas am Abend des 3. August durch
einen sanften Tod von den Leiden erlöst worden,
die den Lebensabend des von Natur so zähen, auf-
rechten, bis ins hohe Alter sportfreudigen Künstlers
umdüstert hatten. Wie der Arzt und Hausfreund
Prof. Schleich den Freunden des Meisters oft ver-
sicherte, hätte der mächtige Körper dieses schönen
Riesen der Last der Jahre noch auf lange Zeit hinaus
getrotzt, wenn nicht eine Fischvergiftung, die er sich
in Monte Carlo zugezogen, seine Gesundheit unter-
graben hätte. Dies tückische Leiden hatte Lähmungs-
erscheinungen im Gefolge, die dem einst so Regsamen
und Unermüdlichen Tage und Wochen unerträglicher
Qualen bereiteten. Gerade der letzte Monat hatte
dann eine Erleichterung gebracht. Der Kranke konnte
wieder Spazierfahrten in den Tiergarten wagen, und
der Zustand schien sich verhältnismäßig so günstig
zu gestalten, daß die nächsten Angehörigen ihre Er-
holungsreise antreten und den greisen Meister der
bewährten Sorgsamkeit seiner Hausdame und seines
Pflegers anvertrauen konnten. Da plötzlich versagte das
geschwächte Herz seinen Dienst, und dem lange Ge-
prüften ward ein friedliches, schmerzloses Ende zuteil.

Jene Feier des achtzigsten Geburtstages am 15. Juli,
deren Erregungen ein gnädiges Geschick den Kranken
leidlich ertragen und überstehen ließ, zeigte Reinhold
Begas noch einmal kurz vor seinem Hingang, wie
viel herzliche Verehrung und Bewunderung ihm trotz
aller Kämpfe der jüngsten Jahrzehnte, die er durch-
zufechten hatte, in ganz Deutschland entgegengebracht
wurde. Die offizielle Kunstwelt feierte den Schöpfer
der großen nationalen Monumente, den sie mit dem
Exzellenztitel schmückte. Die unoffizielle Kunstwelt
aber, die bei uns wie allenthalben heute das eigent-
liche Kunstgewissen der Allgemeinheit repräsentiert,
huldigte dem genialen Künstler, der in seiner Jugend
wie kein anderer der deutschen Plastik frisches Blut
zuführte und neue Wege wies. Ihr schien der Begriff
Begas sich gleichsam zu spalten. Auf der einen Seite
stand der Bildhauer, den in höheren Jahren die falsche
Gunst trügerischen Glückes vor Kolossalaufgaben
stellte, denen seine Begabung im Innersten wider-
streben mußte; der ein Führer der schlimmen höfischen
Kunst Preußens seit 1890, das Haupt und der In-
begriff der übelberüchtigten neuberlinischen Denkmäler-

fabrik geworden war, als deren Hauptdokument die
Siegesallee leider für alle Zukunft sich erhebt. Auf
der anderen Seite aber stand der junge leidenschaft-
liche Revolutionär von 1850 und 1860, der mit un-
gestümem Temperament in die Kirchhofsruhe der
absterbenden Rauch-Schule einbrach und gegen den
Regelzwang der klassizistischen Konvention Sturm
lief; ein Pfadfinder, dessen Auftreten von seinen Alters-
genossen als eine Erlösung betrachtet wurde, und vor
dem sich die Hüter der akademischen Tradition damals
ebenso bekreuzigten wie heute vor dem sezessionisti-
schen Nachwuchs. Als der Zwanzigjährige auf die
Berliner Ausstellung von 1851 sein erstes größeres
Werk, eine Hagar und Ismaelgruppe, sandte, wurde
er zwar im Katalog nach der damaligen Sitte noch
als »Schüler von Herrn Prof. Rauch« bezeichnet, aber
seine Arbeit erregte sofort ein Schütteln aller Perücken,
das von Jahr zu Jahr heftiger wurde, als sich heraus-
stellte, daß der kühne Neuerer die Zerreißung des
Dogmas von der alleinseligmachenden Vorbildlichkeit
der Antike und der Hochrenaissance zu seinem Lebens-
progranim machte.

Als der dritte der vier Söhne von Karl Begas (von
denen zwei Maler, zwei Bildhauer wurden) war Rein-
hold am 15. Juli 1831 zur Welt gekommen. »Am
Karlsbad«, der damals stillen, dem Lärm der Stadt
weit entrückten Privatstraße an der Potsdamerbrücke,
wo der Stammvater dieser Künstlerdynastie sich an-
gesiedelt und sein Haus zu einem Mittelpunkte des
Berliner Kunstlebens gemacht hatte, war er aufge-
wachsen. Neben Rauch selbst war auf der Akademie,
die er schon als Fünfzehnjähriger 1846 bezog, vor
allem Ludwig Wichmann sein Lehrer. Aber er strebte
sofort aus dieser Welt der berlinischen Überlieferungen,
in der er seine Kindheit und erste Jugend verlebt
hatte, heraus. Als Sohn des historisch gestimmten
Jahrhunderts konnte er die Befreiung aus diesen
Fesseln allerdings nur durch den Anschluß an die
Formauffassung einer anderen Epoche der Vergangen-
heit gewinnen: er ging auf das Barock zurück. Das
war kein geringes Wagnis. Denn nichts war seit
Thorwaldsen so verpönt gewesen wie die Kunst des
17. und 18. Jahrhunderts. Begas' sprühendes Naturell
sehnte sich von der nüchternen Erhabenheit der aka-
demischen Plastik nach Leben und Bewegung, nach
einer froheren, sinnlicheren, fleischlicheren Körper-
lichkeit der Skulptur, nach malerischen Gruppierungen
 
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