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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Osborn, Max: Die große Berliner Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0229

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 28. 26. Mai 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DIE GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG
Kein schwereres Kunstamt auf diesem Planeten,
als die »Große Berliner« einrichten! Auch der grünste
Neidbold wird niemals mißgünstig auf den geplagten
Mann blicken, den das Vertrauen seiner Kollegen im
Winter auf den ehrenvollen Posten des Ausstellungs-
präsidenten beruft, damit er im nächsten Frühjahr und
Sommer die ungeheuerliche Bürde dieser Würde auf
seine Schultern nimmt. Die Aufgabe, die es hier zu
lösen gibt, hat etwas, das auch Hartgesottene zur
Verzweiflung bringen kann: sie kann nie wirklich be-
friedigend erledigt werden, nie durchweg zu einem
absolut guten Resultat gelangen. Seitdem man den
unglückseligen Schritt getan, die Ausstellungsleitung,
die früher der Akademie allein zustand, zwischen
dieser und dem Verein Berliner Künstler zu teilen,
ist es schlechthin nicht zu vermeiden, daß auch die
große Masse des Vereins ihren Platz beansprucht, und
das ist ein Ballast, der das große Unternehmen »in
seiner Gänze«, wie die Österreicher sagen, immer
herunterziehen und auf einem bescheidenen Niveau
festankern wird. So bleibt der alljährlich neu einge-
setzten regierenden Signoria dieser Kunstrepublik: der
»Kommission«, regelmäßig nichts anderes übrig, als
mit möglichst erfinderischem Geist Gegengewichte zu
schaffen, um wenigstens zu einem Ausgleich zu
kommen, und in der Herrichtung der Berliner Haupt-
säle die strengste Kritik walten zu lassen. Man muß
Anziehungspunkte bilden, die der Besucher Aufmerk-
samkeit so stark fesseln, daß sie für die Schreckens-
kammern, in denen sich das ganze Elend der mittel-
mäßigen und tiefer stehenden Überproduktion verbirgt,
keine Zeit mehr übrig haben.

Diese Politik der Balance ist nun — das verlangt
aufrichtige Anerkennung — selten mit soviel Geschick
getrieben worden wie in diesem Jahre, da der Maler
Carl Langhammer das Präsidentenzepter schwingt.
Der »Schwamm« ist auch diesmal vorhanden —
kümmern wir uns nicht weiter drum. Aber die
»Gegengewichte« sind so zahlreich und so important,
daß man ihn leichter als sonst vergißt. Jene Berliner
Hauptsäle, die den Anspruch haben, zuerst beachtet
zu werden, sind mit großer Sorgfalt behandelt. Hier
stürmen keine Genies und werden keine Zukunfts-
pforten gesprengt; auch letzte, hohe Meisterschaft
grüßt uns nicht; doch eine Fülle tüchtiger, solider
und hervorragender Arbeiten gibt Zeugnis von ste-

tigem, ernstem Vorwärtsschreiten. Die Landschaften
von Langhammer selbst, von Kallmorgen und seiner
Schule, von Kfiyser-Eichberg und Wendel, die Holland-
stücke von Hans Herrmann, die temperamentvollen
Marinebilder von Leonhard Sandrock, einige Spät-
werke von Paul Meyerheim, die freilich mit seinen
älteren Bildern nicht konkurrieren können, die friesi-
schen Gemälde von Otto H. Engel, die Porträts von
Schulte im Hofe, die Impressionen von Hans Looschen,
die Bilder von Uth und Fabian — das ergibt eine
sehr ansehnliche Versammlung. Einen ganzen Saal
hat man Max Schlichting eingeräumt, der neuerdings
nach schwächeren Jahren, bemerkenswerte Fortschritte
aufweist. Schlichting hatte sich eine Zeitlang gar zu
sehr in eine etwas fade, in der Luft schwebende
Manier verloren; jetzt hat er wieder festen Boden
unter den Füßen, und die Landschafts-, Strand-, Stadt-
und Gesellschaftsszenen, die er unter dem Gesichts-
punkt interessanter Lichterspiele wählt, sind von einer
neuen Frische und Farbigkeit. Der Künstler sucht
gern die prickelnde und helle Spätsonne auf, deren
gelbliche Töne mit bläulichen und violetten Schatten
kontrastiert werden. Das Bestreben, dabei doch auch
zu einem Bildausdruck zu kommen, führte Schlichting
manchmal auf anekdotische oder pseudolyrische Ab-
wege, die etwas gezwungene Effekte mit sich brachten.
Das kehrt auch jetzt noch gelegentlich wieder, aber
man merkt die redliche Mühe, die er sich gibt, um
die Verkehrtheiten zu überwinden. Andere Säle zu
Kollektivausstellungen wurden den Berliner Malern
Henseler und Dielitz eingeräumt. Hugo Vogel, der
übrigens auch als Porträtist die Flachheiten und Ver-
blasenheiten einer schlimmen Zwischenzeit verab-
schiedet hat, zeigt neben neuen Bildnissen die Reihe
seiner vortrefflichen Studien zu den großen Wand-
gemälden im Hamburger Rathaus. Wichtig erscheint
mir, daß es auch im Moabiter Glaspalast nicht mehr
an frischem Nachwuchs fehlt, der nun natürlich der
akademischen Manier ein Schnippchen schlägt und
sich durchaus »modern« gesinnt zeigt. Namentlich
ein junger Maler Paul Päschke fällt auf, der mit
eignem Blick Berliner Motive aus der Altstadt be-
handelt.

Aber das moderne Element ist mit noch weit
stärkerer Vehemenz in die diesjährige Ausstellung ein-
gebrochen. Man hat die jüngeren Schweizer Maler
zu einer Sonderausstellung in zwei Sälen eingeladen,
 
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