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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Münchener Brief
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ACAD. LESEH.

2UUN.1911 .

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

ml«

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 30. 23. Juni 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann;
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

MÜNCHENER BRIEF
Unter den zahlreichen Ausstellungen moderner
Kunst, die uns der verflossene Winter beschert hat,
durfte vor allem diejenige der Sezession Anspruch
auf besondere Bedeutung erheben. Man hatte hier
die Kollektionen zweier Maler einander gegenüber-
gestellt, die vollkommen entgegengesetzten Richtungen
angehören, die sich aufs Stärkste sowohl in der Wahl
ihres Gegenstandes wie auch in Auffassung und Mal-
weise unterscheiden und beide doch, wenn auch nicht
in ganz- gleichem Maße, zu den hervorragendsten
Erscheinungen der heutigen Kunstwelt zu rechnen
sind. Der größere Teil der Besucher dieser Aus-
stellung wird sich wohl mehr von den Werken Hein-
rich von Zügels angezogen gefühlt haben, der dem
gegenwärtig üblichen Kunstempfinden bedeutend näher
steht und dem Durchschnittskunstfreund viel geringere
Schwierigkeiten bereitet wie jener zweite, der abseits
vom großen Strom stehende und in mehr wie einer
Hinsicht merkwürdige Karl Haider. Aber auch er
hat heute eine große Anhängerschaft und es ließ sich
gerade bei dieser Gelegenheit beobachten, daß die-
selbe in stetem Zunehmen begriffen ist und daß sie
sich vor allem aus den ernsteren Elementen des Publi-
kums zusammensetzt. Lange hat es gedauert, bis
weitere Kreise einsehen lernten, welch außerordent-
liche Tiefe den Werken dieses einsamen Wanderers
innewohnt, lange hat es gedauert, bis nur seine engeren
Zunftgenossen etwas von seiner Bedeutung zu ahnen
begannen. Als Haider, der 1846 als Sohn des Leib-
jägers und begabten Jagdzeichners Max Haider in
München geboren wurde, Ende der sechziger und
Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
in seiner Vaterstadt die ersten Früchte einer stillen,
innigen Künstlerseele zu Markte brachte, da achtete
fast niemand auf sie und nur ganz wenige erkannten
ihren Wert. Leider waren diese Wenigen aber keine
Mäzene, sondern Leidensgenossen, junge Maler, die
auch von der großen Heerstraße abgezweigt waren
und sich nun selbst ihren Weg durch den geheimnis-
vollen Wald der Kunst bahnten, Zielen zustrebend,
die dem damaligen Geschmack noch unverständlich
waren, deren Bewältigung also vorerst auch keinen
materiellen Erfolg haben konnte. Victor Müller, Wil-
helm Leibi, Hans Thoma, Wilhelm Steinhausen und
der treue Freund dieser kleinen Gemeinde Adolph
Bayersdorf er waren die ersten, die den wirklichen

Künstler in Haider erkannten, zu denen sich dann
noch die beiden Schweizer Arnold Böcklin und Adolf
Stäbli und einige andere gesellten. Von allen, die
diesem Kreise angehörten, und die, so sehr sie ehe-
dem verlacht und mißachtet wurden, später zu Ruhm
und Ehren kamen, mußte Haider am längsten auf
Anerkennung warten und erst gegen Ende des vorigen
Jahrzehnts war die Zahl seiner Verehrer so ange-
wachsen , daß man von einem wirklichen Durch-
dringen sprechen konnte. Wer die hier erwähnte
Ausstellung mit Aufmerksamkeit besucht hat und sich
über die Entwicklung des Künstlers klar zu werden
trachtete, wer dabei auch seine Art zu schaffen —
sowohl in Auffassung wie in Technik — mit der
jetzt vorherrschenden Richtung der Malerei ver-
glichen hat, dem mochte es vielleicht in einer Hin-
sicht begreiflich erscheinen, daß Haiders Bilder noch
länger unverstanden bleiben konnten, wie die seiner
Jugendfreunde und Weggenossen. Denn ganz ab-
gesehen von dem Gegensatz zum sogenannten Im-
pressionismus und Neoimpressionismus unterscheidet
er sich auch noch stark von jenen, ihm sonst ver-
wandten und mehr idealistischen Zielen zustrebenden
Künstlern wie Thoma und Böcklin. Dies ist nament-
lich bei den Werken seines späteren Stils der Fall,
der beiläufig gegen Ende der achtziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts einsetzt und sich vornehmlich
in der Auffassung und Wiedergabe der bayrischen
Voralpenlandschaft geltend macht. Haiders Entwick-
lung, die bei dieser Veranstaltung sehr gut verfolgt
werden konnte (und zwar viel besser als diejenige
Zügels, da aus dessen Frühzeit ziemlich wenig zu
sehen war), ist überhaupt sehr merkwürdig, indem
er in seiner Technik eigentlich den umgekehrten Weg
einschlägt wie die meisten seiner Fachgenossen. Wäh-
rend diese von einer sorgfältig ausführenden, detail-
lierenden Malerei zu einem immer breiteren und mehr
summarischen Vortrag kommen, gelangt er von einer,
wenn auch durchaus nicht pastosen, so doch ver-
hältnismäßig breiteren Malweise zu jener eigentüm-
lich strichelnden, oft schablonenmäßig anmutenden
Manier, die immer von seinen Gegnern als Haupt-
argument für die Ablehnung seiner Werke angeführt
wurde. Nun mag man über diese Art zu malen
denken wie man will. In Betracht kommt für uns
schließlich nur, was wir als Gesamtresultat sehen,
was uns das Bild an innerem Gehalt, an seelischem
 
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