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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Ein wiederaufgetauchtes Werk Tintorettos
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ACAD. LESEH.

'AAPR.19H

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 22. 14. April 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

EIN WIEDERAUFGETAUCHTES WERK
TINTORETTOS

Tintoretto gehört nicht zu den Namen, deren
bloße Nennung beim Wiedererscheinen eines seiner
Werke viel Aufsehen erregt. Das hat vor allem in
der großen Produktivität des Meisters seinen Grund,
dessen Bilder noch heute weit in die Hunderte gehen.
Das bereits bekannte Material ist bereits so enorm,
daß von einem neu hinzukommenden Werke keine
große Bereicherung unserer Kenntnisse erwartet wird.
Die hier kurz zu besprechenden Bilder lassen uns
nun gewiß auch nicht Tintoretto in neuem Lichte
sehen, sie sind aber doch, da von Ridolfi zu den
Jugendwerken des Künstlers gerechnet, von einer
größeren historischen Bedeutung als beispielsweise
eines jener zahlreichen Porträts, von denen wir nicht
wissen, woher sie kommen, bei denen wir nicht ein-
mal den Dargestellten zu nennen vermögen, die bis-
weilen kaum mehr bedeuten als eine weitere Nummer
in der fast endlosen Oeuvreliste.

Im vorigen Frühjahr (1910) befanden sich im
italienischen Kunsthandel vier augenscheinlich zu-
sammengehörige Bilder Tintorettos, die Halbfigur der
am Betpult knienden Maria und des herabschwebenden
Verkündigungsengels sowie Christi und der Sama-
riterin am Brunnen. Die beiden letztgenannten korre-
spondierenden Halbfiguren sind neuerdings für die
Galerie der Uffizien in Florenz erworben worden,
die beiden anderen Gegenstücke aber gehören jetzt
Herrn von Beckerath in Berlin.

Der selbst für Tintoretto ungewöhnlich breite,
geistreich abkürzende Vortrag zeigt, daß die Bilder
für den Effekt auf große Entfernung berechnet sind,
daß sie also für einen vom Beschauer ziemlich weit
entfernten, wahrscheinlich hohen Standort gemalt
wurden. Nun brachte man in Venedig recht häufig
die Verkündigungsfiguren auf den Innenseiten der
großen Flügel des Orgelgehäuses an, so daß diese
Figuren also nur, wenn die Orgel zum Spiel geöffnet
war, und zwar getrennt voneinander, sichtbar wurden.
Die Außenseiten aber, die beim Schließen des Ge-
häuses eine einzige große Fläche bildeten, pflegte man
im Cinquecento mit einer zusammenhängenden Kom-
position zu dekorieren. So stellte Tintoretto in S.
Maria dell' Orto Marias Tempelgang auf der Außen-
seite der Orgeltüren dar, in S. Maria Zobenigo die
Bekehrung Pauli.

Es liegt nun die Vermutung sehr nahe, daß unsere
vier Bilder ursprünglich ebenfalls einer Orgel zum
Schmuck dienten. Hierfür spricht nicht nur die un-
gewöhnlich summarische Breite der Malweise, sondern
auch der auffällige Unterschied in der Erhaltung der
beiden Bilderpaare. Denn der Christus und die Sama-
riterin in den Uffizien sind ungleich stärker nach-
gedunkelt und haben ärger unter Restaurationen ge-
litten, als die prächtig frischen Bilder bei Herrn von
Beckerath. Die beiden Halbfiguren der Uffizien
scheinen also an ihrem ursprünglichen Standort allerlei
schädigenden Einwirkungen mehr ausgesetzt gewesen
zu sein als die Verkündigungsfiguren, was sehr gut
zu unserer Vermutung paßt, die ehemaligen Deko-
rationsstücke einer Orgel vor uns zu haben, an der
die Szene am Brunnen die Außenseite der Flügel,
die gut konservierten Verkündigungsfiguren aber die
geschützteren Innenseiten bedeckten.

Eine derartig von Tintoretto dekorierte Orgel
aber hat existiert, nämlich in S. Benedetto in Venedig
und wird zuerst von Borghini (1584, vgl. ed. Firenze
1730, p. 451), dann von Ridolfi (ed. II. t. II. p. 179)
und Boschini und in der 1733 erschienenen Rinno-
vazione .delle Rieche Minere beschrieben. Noch im
Jahre 1749 spricht Flaminio Correr in seinen Chiese
venete von diesen von Tintoretto gemalten Orgel-
flügeln, die aber dann bald aus der Kirche entfernt
worden zu sein scheinen, wenigstens nicht mehr von
Zanetti erwähnt werden.

In dem Katalog der Sammlung des Grafen Alga-
rotti, der bald nach dessen Tode (9. September 1776)
gedruckt wurde, werden nun vier Bilder Tintorettos
folgendermaßen aufgeführt:

L'Ange qui annonce.

Le Pendant. La Vierge ä qui l'Ange annonce.

Sur toile, haut 3 pieds, 9 pouces, large 3 pieds.
La Samaritaine au puits.

Le pendant. Le Sauveur qui lui parle. Sur toile,
haut 3 pieds, 9 pouces, large 3 pieds.

Es folgt die Bemerkung: Ces quatre demi figures
formoient les petites portes de l'orgue de S. Benoit
de Venise. Ridolfi en parle dans Ia vie du meme
Tintoret1).

In der Vorrede zu diesem Katalog, der im Auf-

1) Catalogue des tableaux .... de la galerie du feu
comte Algarotti a Venise, ohne Jahr, p. XX f.
 
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