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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Lübbecke, Friedrich: Eine rheinische Pietà
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0312

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599

Ausgrabungen

600

behauptete, es in Boppard am Rhein erstanden zu
haben. Zweifellos ist diese Angabe richtig. Wir
haben in dieser Pietä ein besonders bedeutsames Werk
der rheinischen Kunst vor uns. Ich habe in meinem
Buche über die »Gotische Kölner Plastik« (Heitz, Straß-
• burg 1910) bereits eine Gruppe verwandter Werke
für die Kölner Schnitzkunst in Anspruch genommen,
von denen ich hier als bisher noch nicht veröffent-
lichtes markantes Stück den Kruzifixus aus St. Maria
im Kapitol- Köln (Abb. 3) zum Vergleiche bringe.
Es stammt zweifellos aus derselben Werkstatt, aus
der der verwandte Kruzifikus aus St. Severin in Köln
hervorging. Andererseits bieten sich auch für den
Typus der Maria unserer Gruppe gerade in der Kölner
Kunst um 1400 zahlreiche Analoga. Erinnert sei
nur an die Madonna der Verkündigungsgruppe vom
Saarwerden-Sarkophage im Kölner Dom2), der schönen
Verkündigung eines Meister aus dem Kreise des viel-
umstrittenen »Wilhelm« von Köln im Utrechter Erz-
bischöflichen Museum1) ferner an die Schutzmantel-
Madonna des Pallanter Altares der Sammlung Nelles
auf der Emmaburg2) und andere mehr kölnischen
Ursprunges.

Andererseits finden sich auch in ihr starke Be-
rührungspunkte zur sogenannten »mittelrheinischen«
Plastik, insbesondere zu der bisher um Bingen loka-
lisierten Tonbildnerei. Wir finden für den Fluß der
Gewandung in der Beweinungsgruppe des Limburger
Dommuseums8), zumal in dem Schwung der Mantel-
linie vom Kopfe zum Schöße, starke Verwandtschaft.

Leider schwebt ja gerade diese mittelrheinische

1) Abgebildet bei Scheibler, Aldenhoven, Die Kölner
Malerschule, Lieferung 2.

2) Abgebildet bei Lübbecke, Die Gotische Kölner Plastik,
Straßburg 1910, Tafel 39 u. 42.

3) Friedich Back, Mittelrheinische Kunst, Frankfurt
1910, Tafel 24.

AUSGRABUNGEN

Die Ausgrabungen des römischen Theaters von
Ferentum bei Viterbo. Während der Renaissance hatten
Baldassare Peruzzi, Antonio da Sangallo der Jüngere und
Sebastiano Serlio sich eingehend mit Forschungen und
Studien über dieses wichtige Monument beschäftigt. Nun
hat Dr. Roberto Oalli von der Kgl. Soperintendenza dei
monumenti dell' Etruria die Forschungen wieder auf-
genommen und schon nach kurzer Zeit sind die Ergeb-
nisse der Ausgrabungen äußerst interessant.

Im 16. Jahrhundert waren, wie man aus den in der
Sammlung der Uffizien aufbewahrten Zeichnungen der
obengenannten Architekten entnehmen kann, noch große
Teile der Canea und der Seena über der Erdoberfläche
erhalten, aber die Architekten hatten sich in der Annahme
geirrt, daß das ganze Theater wirklich von den Funda-
menten aus ganz als Bau ausgeführt worden sei, denn
die Sache hat sich bei den Ausgrabungen als bedeutend
anders erwiesen. Die Ausgrabungen, welche in der Nähe
des rechten Paraskenion begonnen wurden, führten zur
Aufdeckung eines großen Säulenganges tuskanischer Ord-
nung mit Peperinsäulen, welche noch deutliche Spuren von
Stuckverkleidung tragen. Dieser Säulengang umgab äußer-
lich die Paraskenia und die Seena. Charakteristisch ist
die Teilung der Eingangskorridore in zwei Teile, von

Plastik noch immer arg in der Luft. Zweifellos ist
sie nicht stilbildend gewesen, sondern nimmt ihre
Elemente von den umliegenden stärkeren Kunstzentren.
Als solches kommt Köln — die mächtigste deutsche
Stadt im 14. Jahrhundert — in erster Linie in Betracht.

Über diese inneren Beziehungen kann heute noch
kein abschließendes Urteil gefällt werden. Immerhin
kann für unsere Pietä bereits soviel mit Sicherheit
gesagt werden: Ein Werk der rheinisch-kölnischen
Schnitzkunst um 1400, nicht später als 1410, für das
sich formal und inhaltlich bisher kein vollgültiges
Analogon in der gleichzeitigen französischen Kunst
finden läßt. Es ist sogar anzunehmen, daß das seit der
Einführung des Fronleichnamfestes beliebte Pielämotiv
zuerst in Deutschland im 14. Jahrhundert seine be-
vorzugte Ausbildung erfuhr. Zugleich schlägt das
Werk eine Brücke zu der hundert Jahre späteren
Kunst eines Grünewald, für deren Ursprünge noch
vor einem Jahre Rauch-Gießen*) Italien bemühte. Aber
sollte nicht doch von dort aus, schon für unser Werk,
ein Wesensquell fließen? Ich denke an ein Werk
Maetanis, an die Darstellung des Jüngsten Gerichtes
an der Fassade des Orvetaner Doms. Auch dort
in den Leibern der Verdammten die gleiche Lust
an anatomischer Durchbildung, für deren Vorkommen
das frühe Mittelalter kaum Beispiele bietet.

4) Christian Rauch, Hessenkunst (Marburg 1910) S. 9:
»Und die Meinung der Forscher, die sich mit mittelrheini-
scher Kunst beschäftigten, vor allen Thodes, der den ersten
Pionierzug in das so gut wie unbekannte mittelrheinische
Gebiet im weiteren Sinne unternahm (Jahrb. d. preuß. Kunst.
Sammlungen XXI, 1900 S. 59 ff.) geht dahin, daß diese
Kunst überhaupt der dramatischen Akzente entbehrt: Bleibt
das richtig, müssen wir annehmen, daß das Temperament
Grünewalds, des größten Dramatikers in der deutschen
Malerei, der hier am Mittelrhein lebte und wirkte, anderswo,
am Oberrhein oder wohl gar in Italien freigemacht wurde.«

denen einer zur Seena führte und der andere zu den höher
gelegenen Sitzen. Die Orchestra hat noch das vollständige
Pflaster aus Peperin und man kann noch recht gut den
halbkreisförmigen Sockel der untersten Sitzreihe, welche für
die Stadtmagistrate und Priester reserviert war, sehen. Gut
erhalten ist auch der Euripus des Orchesters, welcher für
die Entfernung des Regenwassers bestimmt war. Dr. Galli
ist es. auch gelungen, Fragmente der plastischen Blumen-
dekoration des Pulpitum und der dazu aufsteigenden
kleinen Treppe zu entdecken.

Die Canea ist wie bei allen kleineren römischen
Theatern, beispielsweise in dem von Fiesole, direkt in den
Stein genauen, aber leider haben die Sitzreihen die ur-
sprüngliche Verkleidung verloren und auch die kleinen Ver-
bindungstreppchen sind fast alle verschwunden, so daß es
nicht mehr möglich ist, die Einteilung in Cunei richtig zu
berechnen. Soviel es scheint, hatte die Canea bloß eine
Praecinclio und zwei Moeniana. Die Ausgrabungen haben
auch ergeben, daß im Mittelalter das Theater als Burg
und Kirchhof gebraucht worden ist. Die Oberfläche des
Theaters kann man auf 2300 Quadratmeter berechnen.
Dr. Galli glaubt die Meinung verwerfen zu müssen, daß
das Theater von Kaiser Otho, welcher (32—69 n. Chr.)
ferentanischer Bürger war, gebaut worden sei. Er meint,
das Gebäude ungefähr der nächsten Zeit nach der sulla-
nischen Periode zuschreiben zu können. f.h.
 
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