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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Die Neuerwerbungen des Berliner Kupferstichkabinetts
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Gronau, Georg: Antonio oder Vittore Pisano?
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0042

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Antonio oder

Vittore Pisano

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dert stammen drei Blätter, eine sehr charakteristische
Beweinung Christi des Mabuse, gewiß manieriert, aber
sehr reich in der Bewegung und noch durchaus
empfunden im Strich, ein großer Scheibenriß des Barent
van Orley mit dem Abschied Christi von seiner Mutter
(aus der Sammlung Duval) und eine Heimsuchung
von Jan Swart, die einstmals Ploos van Amstel besaß.
Von Hendrik Goltzius rührt das sehr subtil in Metall-
stift gezeichnete Miniaturporträt eines Mannes her.
Von Rubens wurde eine große Kreidezeichnung er-
worben, eine Frau mit einem Kruge, eine Studie zu
der Marseiller Anbetung der Hirten. Eine ausführ-
lich bezeichnete und 1605 datierte Landschaft des
Roland Savery vertritt gut den Stil des Künstlers.
Ein ganz besonders schönes Blatt endlich ist die
Amsterdamer Hafenansicht des Willem van de Velde,
die in London erworben wurde und aus Seymour
Hadens Sammlung stammt. Außerordentlich pikant
sind die schwarzen Flecken der Masten vor den tonig
grauen Wolkenhimmel gesetzt.

Italien ist nur mit zwei Blättern vertreten, das
eine davon allerdings ein sehr bedeutender Zuwachs
der Sammlung von Quattrocentozeichnungen, nämlich
ein Entwurf des Ghirlandajo zu dem Fresko in
S. Trinita mit Papst Honorius, der die Ordensregel
des heil. Franz bestätigt. Das andere Blatt ist kunst-
geschichtlich interessant als Zeichnung des Stechers,
der als Meister von 1515 bezeichnet wird, es stellt
das Urteil des Paris dar und ist 1520 datiert. Beide
Zeichnungen wurden im Kunsthandel erworben.

Endlich sind drei Studienblätter des George Mor-
land zu erwähnen, eine Landschaft von Salomon
Geßner und ein Profilporträt einer Dame von Chodo-
wiecki.

Neben dieser großen Reihe bedeutender Zeich-
nungen treten die Stiche diesmal zurück. Immerhin
konnten auch hier einige wichtige Stücke erworben
werden, wozu vor allem die Versteigerung der glän-
zenden Sammlung Theobald Gelegenheit gab. Ein
Probedruck zu Bartel Behams Porträt Kaiser Karls V.
ergänzt aufs glücklichste die Serie der im Kabinett
schon vorhandenen Abdrücke der aufeinander folgen-
den Zustände der Platte. Interessante Ornamentstiche
ebenfalls von Bartel Behatn, vom Meister mit den
Pferdeköpfen und den Meistern N. W. und V. G.
wurden erworben. Von Holzschnitten ist die große
Belagerung von Rhodos des Hans Sebald Beham,
das Prunkbett von Peter Flötner und der schön kolo-
rierte Pergamentdruck des Grafen von Sonnenberg
von Hans Burgkmair zu nennen. Zum Schluß seien
zwei Porträtstiche des Drevet und Edelinck erwähnt
und der äußerst seltene farbig gedruckte Stich des
Luigi Schiavonetti mit dem Bildnis der Königin Luise
und ihrer Schwester nach Tischbein.

Schon diese Aufzählung wird erkennen lassen, daß
es sich um einen ganz außerordentlichen Zuwachs
der Sammlung handelt, der in allen Teilen durchaus
die Höhe der Qualität einhält, die man für eine erst-
rangige Sammlung wünschen muß. O.

ANTONIO ODER VITTORE PISANO?

Zu wiederholten Malen ist an dieser Stelle von
den bedeutsamen Forschungen Biadegos die Rede ge-
wesen, denen zufolge der unter dem Namen Pisanello
berühmte Medailleur und Maler nicht, wie die Tradi-
tion seit Vasari lehrte, Vittore, sondern Antonio ge-
heißen hat. Von diesem Antonio Pisano oder Pi-
sanello wußte Biadego eine ganze Reihe von Doku-
menten beizubringen und verbreitete Licht über
Jahrzehnte in dem Leben des Veroneser Meisters, die
bis dahin im Dunkel gelegen hatten.

Zuletzt habe ich selbst, erst vor kurzem, hier über
die jüngsten Forschungen berichtet. Von verschie-
densten Seiten war die Identifikation: Antonio Pisano
= Pisanello angenommen worden. Jetzt kommt
einigermaßen überraschend im letzten Heft (September)
der Rassegna d'arte der Direktor der Pinakothek zu
Parma und Verfasser eines im größten Maßstab an-
gelegten Werkes über venezianische Malerei, Laudedeo
Testi, mit Zweifeln an der Richtigkeit der These
Biadegos. »Die Frage ist ganz und gar nicht gelöst,
sagt er. Bis zur absolut schlüssigen Probe werden
vorsichtige Leute mit uns die von B. publizierten
Dokumente auf Antonio di Puccio beziehen, sich aber
an die bekannten und gesicherten Nachrichten halten,
wenn sie von Pisanello sprechen.« In einem Schluß-
wort, nach langen Ausführungen, spricht er, gleich-
sam durch das Formulieren seiner Gründe mehr er-
regt, sich noch viel positiver gegen die Identifizierung
aus. »Wahrscheinlich hatten Antonio und Vittore
den Beinamen Pisano gemein und sonst nichts.« Wie
sollte es möglich sein, daß sich in den Dokumenten
keine Anspielung auf den Ruf des Mannes findet,
vielmehr der armselige (miserello) Antonio darin stets
wie irgend ein Anonymus figuriert?

Bei der Wichtigkeit der Frage — denn es handelt
sich hier nicht um den müßigen Streit um den Vor-
namen, sondern darum, ob die von Biadego ge-
fundenen, zahlreichen Dokumente auf Pisanello be-
zogen werden können — erscheint es mir wichtig,
die Argumente Testis der kritischen Probe zu unter-
ziehen.

Seine Argumente sind im wesentlichen zwei. Ein-
mal sagt er, daß Vasari in der ersten Ausgabe von
1550 bereits den Namen Vittore kennt, daß er ihn
in der zweiten, wo er gerade in dieser Biographie
sich auf den gelehrten Veroneser Mönch Fra Marco
de' Medici beruft, mehrmals anwendet, daß endlich
auch Paolo Giovio in seinem Brief an Herzog Cosimo
von 1551, worin er von Pisanellos Medaillen handelt
— Vasari druckt den Brief z. T. ab — ebenfalls den
Vornamen Vittore gebraucht. Damit hätten wir drei
Gewährsmänner ein Jahrhundert nach dem Tode des
Künstlers. Zudem war Giovio nur 28 Jahre nach
Pisanellos Tod geboren.

Das zweite Argument sucht den schwachen Punkt
in Biadegos These zu treffen. Dokumentarisch steht
fest, daß die Mutter des Antonio Pisano am 13. No-
vember 1442 bereits verstorben war. Das genaue
Datum ihres Todes ist nicht bekannt. Damals war
Antonio nicht in Verona; vielmehr hatte ein Dekret
 
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