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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Gronau, Georg: Antonio oder Vittore Pisano?
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0043

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Antonio oder

Viltore Pisano

des venezianischen Rates der Zehn vom 21. November
1442 ihm ausdrücklich das Betreten des ganzen Ge-
bietes von Verona untersagt. Wie kommt es nun,
fragt Testi, daß im Veroneser Estimo (Steuerein-
schätzung) von 1543 in der Contrada di S. Paolo
eingetragen ist: Pisanellus pictor cum matre 10 sol?
Die Mutter war tot, Antonio der Aufenthalt in Verona
verboten. Der Versuch einer Erklärung dieser auf-
fällig unrichtigen Angabe, den Biadego gemacht hatte,
daß nämlich die Einschätzungsbücher das Resultat der
Arbeit des vorhergehenden Jahres darstellen, die Ein-
tragung, Pisanello und seine Mutter betreffend, also
tatsächlich noch zu Lebzeiten dieser erfolgt sei, hält
nicht stand. Mit minutiöser Untersuchung weist Testi
nach, daß am 2. November 1542 die vorbereitende
Arbeit der Steuerkommission noch nicht begonnen
hatte. Da also diese Erklärung nicht angeht, kommt
er zu dem Schluß: der im Estimo von 1443 aufge-
führte Pisanellus pictor ist der echte, große, den die
Welt immer gekannt hat, nicht aber Antonio Pisano.

Nachdem ich so versucht habe, den Kernpunkt
des Angriffs, den Testi gegen Biadegos These richtet,
klarzulegen, mit Übergehung unwesentlicherer Einzel-
heiten, und indem ich die anderen Untersuchungen,
die sich auf die Daten einzelner Arbeiten Pisanellos
beziehen, übergehe, will ich zuerst dem zweiten Ar-
gument Testis einige Bemerkungen widmen. Voraus-
geschickt sei: wieso es kommt, daß Pisanello nebst
Mutter von der Steuerbehörde 1443 aufgeführt sind,
dafür vermag ich keine irgendwelche Erklärung bei-
zubringen. Aber was Testi nicht beachtet: auch der
große Pisanello scheint in eben jenem Jahre von
Verona dauernd abwesend gewesen zu sein. Vom
Ende Februar 1543 ab bis zum März 1444 ist er —
mit Lücken allerdings, wie sie eine in gewissen Zeit-
abständen geführte Korrespondenz selbstverständlich
ergibt — in Ferrara seßhaft. Wir müßten, um jenen
Steuervermerk so deuten zu dürfen, wie es Testi will,
eine Reise Pisanellos von Ferrara nach Verona an-
nehmen, für die sonst keinerlei Andeutung vorliegt.

Was aber viel schwerer wiegt und worauf schon
von anderen aufmerksam gemacht worden ist: die
Schicksale der beiden Pisaneili, wie sie sich aus den
Dokumenten herauslesen lassen, greifen so ineinander,
daß man zu dem Schluß genötigt wird, es handle
sich um einen und denselben Mann. Den Ausschlag
geben die folgenden Tatsachen. Am 21. November
1442 hatte der politisch kompromittierte Antonio
Pisano vom Rat der Zehn die Erlaubnis erhalten, für
zwei Monate sich nach Ferrara wegen gewisser Qeld-
forderungen zu begeben; es wurde ihm aber aus-
drücklich verboten, das Gebiet von Verona und den
Staat des Herzogs von Mantua zu betreten. Von
dieser Erlaubnis macht Antonio verspäteten Gebrauch
und reist erst am 15. Februar 1443 von Venedig nach
Ferrara. Zu genau diesem Zeitpunkt ist nun der so-
genannte Vittore Pisano in Ferrara angelangt. Er
hat vor dem 27. Februar resp. dem 3. März von dort
aus an den Gonzaga einen Brief geschrieben, dessen
Inhalt wir aus der kurzen Inhaltsangabe in einem
Briefe des Fürsten rekonstruieren können. Er enthielt

eine Entschuldigung, daß er nicht nach Mantua
kommen könne: »Dice che'l non e per venire a star
piü cum noi, perche cossi gli e comandato et che
venendoge gli seriano tolti Ii suoi beni« (Venturi,
Gentile da Fabriano e Pisanello S. 48). Man hatte
hier früher, bevor die Venezianer Dokumente bekannt
wurden, eine Pression der Estensen erblickt, ohne zu
bedenken, daß diese kaum in der Lage waren, dem
Künstler all seinen Besitz abzunehmen; jetzt aber ver-
stehen wir den Brief Pisanellos richtig: er machte
dem Gonzaga Mitteilung von dem ihm seitens des
Rates der Zehn gewordenen Verbot. Folglich ist der
Pisanello, der 1443 in Ferrara am estensischen Hof
tätig ist und dem Gonzaga eine Reihe von Briefen
sendet, identisch mit demjenigen, dem am 21. No-
vember 1442 vom Rat der Zehn der Besuch von
Mantua untersagt worden war. Gesetzt aber, man
wollte nun weitergehen und sagen, daß jener poli-
tisch kompromittierte Pisanello eben auch Vittore ge-
wesen sei: so kann er nach jenem selben Verbot
1443 nicht in Verona gewesen sein, und alle Be-
denken, die Testi an den Estimo von 1443 knüpft,
gelten ebenso für Vittore, wie sie für Antonio galten.

Ich darf es mir ersparen, noch weitere Worte
über diesen Punkt zu verschwenden. Nur eine Frage
möchte ich doch auf werfen: wie es nämlich zu er-
klären sein sollte, daß, wo wir von Antonio doch
jetzt eine genügende Anzahl von Veroneser Doku-
menten besitzen, nicht eines bekannt geworden ist,
in dem ein Vittore erscheint? Nicht eine Spur von
diesem ist bis jetzt gefunden worden. Daß der Pi-
sanellus pictor cum matre von 1443 in derselben
Contrada di San Paolo wohnhaft ist, wie Antonio,
hat Testi mit der an sich richtigen Bemerkung abge-
tan, daß die Künstler in jener Epoche gern in einem
Stadtquartier wohnten; uns aber dient auch dieser
Umstand zu der behaupteten Identifizierung der Person.

Aber weiter — und damit komme ich zu Testis
erstem Argument: in allen den ziemlich zahlreichen
bekannt gewordenen Dokumenten außerhalb Veronas
ist immer nur von »Pisano pittore« (zum Teil in
lateinischer Form) die Rede; vereinzelt findet sich
auch der Name Pisanello. Nur in zwei Dokumenten,
Zahlungsanweisungen des Mantuaner Hofes von 1425,
die Biadego ans Licht gezogen hat (Nota terza S. 185)
ist ein Vorname genannt: Magister Antonius Pisanellus.
Testi hat seinen Artikel zwar wesentlich auf Grund
der beiden ersten Aufsätze Biadegos geschrieben, aber
auch die folgenden bis zum letzten vor der Veröffent-
lichung noch gesehen und benutzt. Der, den er den
»miserello Antonio« nennt, war jahrelang Stipendiat
der Gonzaga. Er war auch kein beliebiger An-
streicher; »pictor egregius« heißt er schon 1424 in
dem einen Veroneser Dokument. Von einem Vittore
Pisano aber in allen Dokumenten keine Spur.

Zum allerersten Male erscheint dieser Name in
Vasaris erster Ausgabe von 1550. Wie kommt der
Aretiner zu dem Namen? Hat er ihn erfunden? Er
wiederholt ihn in der zweiten Auflage. Hier beruft
er sich zwar ausdrücklich auf Fra Marco de' Medici,
aber nicht für den Namen, sondern für die Angaben
 
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