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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Osborn, Max: Die Winterausstellung der Berliner Sezession
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0086

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Nekrologe — Personalien — Wettbewerbe

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fluß blieb; die beiden phantastischen Lithographien, die
man heranholte, sind allerdings in ihrem forcierten Tempera-
ment nicht sehr sympathisch. Kostbar aber ist ein ganzes
Kabinett mit Zeichnungen Ferdinand Modlers, meist Studien
zu den bekannten großen Gemälden, in denen er sich immer
neu als ein erstaunlicher Meister des strengen, steigernden,
doch aus tiefster Naturandacht erwachsenen Stilausdrucks
bewährt. Es ist ein hoher Genuß, die Sprache dieser feinen,
keuschen Linien zu erlernen. Vom Norden kommen Ra-
dierungen von Werenskiold und ein riesiger dekorativer
Entwurf von Münch, der die Hauptwand des großen Mittel-
saals beherrscht. »Die Geschichte« heißt das Bild, das für
die Aula einer Universität bestimmt sein soll, eine pracht-
volle Komposition von großem, freiem Zuge: unter einer
prangenden sommerlichen Baumgruppe sitzt ein blinder
alter Bettler, der einem Knaben erzählt — ein neues und
schönes Symbol für die Macht der von Mund zu Mund,
von Generation zu Generation sich pflanzenden Überliefe-
rung; dahinter ein weiter Ausblick über endlos sich
dehnendes nordisches Seengebiet. Das alles erkennen wir
nur in summarischen Linien und Flächenandeutungen, aber
das Bild ist im Grunde doch fertig, und Münch sollte
eigentlich nichts mehr daran ändern; denn es ist die Frage, ob
der Gesamteindruck seine jetzige Kraft behalten wird, wenn
die Ausführung der Details die Aufmerksamkeit zersplittert.

Doch wenn ich die große Menge bedeutsamer fremder
Werke in diesem Bericht voranstelle, so soll damit nicht
der Eindruck erweckt werden, als dränge diese Ausstellung
das Ausland ungebührlich in den Vordergrund, oder als
herrsche in ihr die Tendenz, Schwächen im eigenen Lager
durch Heranziehung von Hilfstruppen aus der Ferne zu
verdecken. Im Gegenteil: seit Jahr und Tag hat die Sezes-
sion nicht so viel Leben und Bewegung gezeigt wie dies-
mal. Im vergangenen Winter trug sie ja allerlei hippo-
kratische Züge zur Schau, und es sah wirklich so aus, als
könnte die Krise, die durch den Konflikt der unzufriedenen
Jugend mit den Führern und Gründern ausgebrochen war,
zu einer Katastrophe führen. Wie höllisch gesund muß
die Vereinigung im Kern geblieben sein, daß sie so be-
denkliche Kämpfe ohne üble Nachwirkungen überwunden
hat. Tatsächlich hat jene Krise ja auch äußerlich jetzt
ihren Abschluß dadurch gefunden, daß die beiden Ver-
trauensmänner der Revoltierenden, die damals in den Vor-
stand gewählt wurden: Leo von König und Max Beck-
mann, ihre Ämter bereits niedergelegt haben, wobei König
— was man um beider Teile willen bedauern wird — aus
der Sezession überhaupt ausschied. Jedenfalls stellt die hier
vereinigte Künstlerschaft nun wieder eine eng geschlossene
Macht dar, und ihre Gegner haben zu früh triumphiert. Die
Ausstellung wirkt in diesem Augenblick wie ein stolzes
Dokument der neu erkämpften Einheit und der Solidität
der energischen Leitung.

Auch unter den Deutschen ist eine historische Ecke,
die allerdings ein bißchen dürftig ausgestaltet ist. Man
hat hier Studien von A Ifred Rethel vereinigt, aber sie geben
kein Bild von der Größe des monumenten Stils, den dieser
Zeichner suchte und fand. Um so glänzender sind die
Lebenden repräsentiert. Liebermann mit einem großen
Karton der Amsterdamer Judengasse (Kohleskizze) und
feinen neuen Pastellen rudernder Gruppen, wohl vom
Wannsee, wo er sich im letzten Jahre ein Landhaus ge-
baut hat. Slevogt mit einer ganzen Schar pikanter kleiner
Aquarelle aus allen möglichen Weltecken, bei denen viel-
fach eine starke Beeinflussung durch Liebermann erkennbar
wird. Corinth mit einem Höllensturz-Entwurf, einer Skizze
des kreuztragenden Christus, mehreren Studien und Radie-
rungen — neuen Proben seiner großen Kunst, die eiserne, fast
akademische Schulung mit höchst persönlichem Tempera-

ment zu verbinden. Käte Kollwitz mit ihren jüngsten Ra-
dierungen aus der Proletarierwelt. Planmäßig hat man
daneben einer ganzen Anzahl Jüngerer ganze Wände zur
Verfügung gestellt. So trägt Pascin, der famose Simpli-
zissimus-Zeichner, große Mengen seiner Blätter heran, dar-
unter eine lange Serie von Illustrationen zu den Memoiren
des Herrn von Schnabelewopski, die Heinrich Heines Iro-
nien mit haarfeinen, sparsamen Linien folgen. Lionel Fei-
ninger gleich ein Schock seiner phantastischen Grotesken.
Kubin neue Radierungen, in denen er die allzu aufdring-
liche »Literatur« seiner ersten Arbeiten glücklich überwun-
den hat. Hermann Struck die Folge seiner stimmungs-
reichen , technisch meisterhaften Venezianer Radierungen.
Christophe eine Sammlung seiner koketten Rokokopikante-
rien. Zu einem bunten und amüsanten Reigen schließen
sich die anderen Dinge an, Pastelle von Kardorff und
Oppler, Landschaften von Brockhusen und Rössler, Akte von
Meid und Beckmann, Radierungen von Lederer und Schin-
nerer, Arbeiten von Orlik, von den Hübners, sehr talent-
volle Aquarelle von Hedwig Weiß und eine ganze Kolonne
von Probestücken bisher weniger bekannter Künstler, von
denen hier nur die Namen F. Staeger, O. Beyer, Hasler,
M. Pretzfelder, F. Stichling, W. Klemm rasch notiert seien,
Ein frischer Strom künstlerischen Lebens fließt durch die
ganze Ausstellung, so kräftig und schwellend, daß der Be-
sucher in der Fülle fast versinkt, aber alles ist dann doch
wieder mit so fester, ordnender Hand reguliert, daß eine
gute Übersichtlichkeit erreicht ist. Dieser Sezessionsstrom
wird, das ist sicher, noch lange nicht versickern, sondern
immer weiter die Ufer befruchten und alles, was an junger
und zukunftsstarker Begabung in Berlin vorhanden ist, mit

Sich reißen. Max Osborn.

NEKROLOGE
Der Maler Eduard Cohen ist, 72 Jahre alt, in Frank-
furt a. M. gestorben. Cohen gehörte während seines Auf-
enthaltes in Rom zu dem Künstlerkreise, der sich um H.
von Marees und Pidoll gebildet hatte. Er hinterläßt eine
wertvolle Gemäldesammlung, in der auch Böcklin ver-
treten ist.

PERSONALIEN
Dr. W. F. Storck in Heidelberg ist zum Assistenten
der Mannheimer Kunsthalle und zum Verwalter des dort
neu errichteten kunstwissenschaftlichen Instituts ernannt
worden.

Lübeck. Zum Direktor des hiesigen Museums ist
Dr. Karl Schäfer, Konservator am Gewerbemuseum in
Bremen, gewählt worden.

An Stelle des ausscheidenden Professors Heinrich von
Angeli ist jetzt Oberbaurat Andreas Streit zum Vorsitzen-
den der Genossenschaft bildender Künstler Wiens gewählt
worden. In den leitenden Ausschuß wurden Professor
von Angeli, Bildhauer Hans Müller, Baurat Seidl und
Regierungsrat Karl Baumann entsandt.

Neue Lehrer an der Wiener Akademie der bil-
denden Künste. Nach dem' Scheitern der Berufung
Hugo Lederers nach Wien ist jetzt auf die seit geraumer
Zeit verwaiste Lehrstelle der Bildhauerschule Josef Müllner,
ein Schüler Edmund Hellmers, berufen worden. Auch
zwei durch den Abgang von Griepenkerl und Lefler er-
ledigte Malerklassen wurden durch Rudolf Jettmar und
Josef Jungwirt neu besetzt.

WETTBEWERBE
Die Technische Hochschule zu Berlin-Charlotten-
burg schreibt den Wettbewerb um das Stipendium der
 
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